Korrespondenz G. & A.

G & A

Mehr | Persönliche Erfahrungen

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[origineel]

Brief 1, A an G.

Lieber Freund,

Heute habe ich beschlossen, Dir einen handgeschriebenen Brief zu senden, um meine Ideen zur Frage “Was ist das Feuer unseres religiösen Lebens?” zu präsentieren. Wie bekomme ich diesen imaginären Brief richtig auf Papier? Ich werde dir mit Stift und Papier schreiben. Es wird nicht immer einfach sein zu entziffern, was ich schreibe und was ich meine. Es gibt eine Spannung zwischen Form und Inhalt, aber auch, dass jedes Wort seine eigene Geschichte und oft mehrere Bedeutungen hat. Wie schaffen wir es, uns zu verstehen? Es hilft mir enorm, wenn ich Dir schreibe, mein inneres „kohärentes Chaos“ so zu gestalten, dass es auch jemand anderem zugutekommt. Du bist mir als Freund vertraut, lieb, sicher, um meinen ersten geordneten Text an vertrauen zu können, in der Hoffnung, dass vielleicht auch anderen etwas darin finden können.

Zurück zur Frage, zurück zu wie es aussieht mit unserem eigenen religiösen Leben? Unser Leben in Verbindung mit Gott und mit unseren Mitmenschen? Unsere Verbindung zu unseren Vorfahren und zu denen, die vielleicht noch geboren werden dürfen, zu den Menschen von heute und unserer umgebenden Natur? Eine schwierige Frage. Es scheint oft, dass religiöses Leben leicht dargestellt werden sollte und sonst: “Schade dann”. Dies ist eigentlich ein erstes Paradoxon: das religiöse Leben wird einem geschenkt, man muss nichts dafür tun. Aber das erfährt man erst nach einem langen Lebensweg voller Versuch und Irrtum. Von der Hilfe, um zu erwecken, was in einer Person, in dir, in mir schon schlummert.

Aber jetzt dann mal konkreter. Was für eine großartige Sache, dass wir seit fast 20 Jahren als Gruppe von Freunden verbunden sind. Wir entdeckten, dass wir “Pilger des Lebens” sind. Wir entdeckten, dass unsere Reise, unsere Pilgerreise, bereits mit den Vorbereitungen beginnt. Die Begegnungen, der Austausch, auch mit anderen, die praktischen Vorbereitungen und dann die Reise selbst, voller Bedeutung, alle Ereignisse und Erfahrungen. Ich denke zum Beispiel an mein erstes Treffen auf unserer Pilgerreise; Ich bin gerade dort angekommen, der andere war völlig besoffen. Ich, der schwimmen gegangen war, was absolut verboten war. Aber manchmal muss man die ausgetretenen Pfade verlassen und seine Entscheidungen vom Moment bestimmen lassen. Also reisten wir später als geplant von diesem Kloster ab, das auf vielen Karten nicht beschrieben war. Und gerade dort passierten uns Dinge, die uns entgangen wären, wenn wir zu schnell weitergegangen wären. Oder beim Einsiedler in den Bergen. Zwei von uns hatten den Weg erkundet. Die anderen blieben unten lange warten. Denn wenn der Einsiedler „schläft, schläft er“. Nach Stunden wurde schon klar, dass wir als Gäste mehr als willkommen waren. Wir lernten, dass sich das Warten wirklich auszahlt. Alle Arten von Erfahrungen, die zu anderen Zeiten in unserem Leben nützlich waren, sind und sein werden.

In der Zwischenzeit hatten wir uns das Trisagion zum Leiblied gemacht und nach jeder Meditation singen wir es und es hat immer wieder eine andere Dimension. Unsere Erfahrungen sind gegenseitige Befruchtungen, aber auch für die Menschen um uns herum.

Jetzt möchte ich eigentlich die Frage beantworten, was für mich das Wesentlichste in meinem Leben ist, und ich versuche große Worte zu vermeiden. Ich denke, ich würde jetzt, in diesem Augenblick  sagen: „So zu leben, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit der richtigen Person anwesend bin und als Diener Gottes das Richtige tue (und das kann auch bedeuten, einfach da zu sein, mit Aufmerksamkeit, wirklich zuhörend, in urteil-loser Liebe).

“Hm”, doch noch größere Worte als ich beabsichtigt hatte. Aber wenn ich so schreibe, ist es, als würde der Stift für mich auf Dich zu schreiben. Worauf läuft das hinaus? Die Vögel draußen sind jetzt so still geworden, dass ich mal schauen gehe, wo sie sind. Wollten sie mich wirklich kurz in der Konzentration lassen oder war ich so selektiv geworden, dass ich sie nicht mehr hörte? Denn jetzt, wo sie wieder in meiner Aufmerksamkeit sind, höre ich doch die Amsel. Ich bin übrigens sehr zufrieden darüber um mich so, mittels dieses Briefes, mit Dir   schrittweise auszutauschen. Oberflächliche Kleinigkeiten haben was mich betrifft offensichtlich viel tiefere Bedeutungsebenen. Bis später; ich mache jetzt erst einen Unterbrechungsspaziergang.

Noch intensiver genieße ich den inneren Reichtum, den wir, die ganze Gruppe, miteinander teilen dürfen und können. Es ist Freundschaft, aber mit einer tieferen Dimension. Ich würde sagen, eine spirituelle Dimension und die geht über unser eigenes Ich oder unser kleines Wir hinaus, sie geht über die Grenzen zum großen Wir.

Wir suchen nach Antworten, suchend bei einander. Aber haben wir die Frage klar? Sollte ich nicht lieber schreiben: “Wir befragen uns gegenseitig” auf der Suche nach der Frage, worauf es wirklich ankommt, und ist das was man wohl nennt “Gott-Sucher”? Ich habe Angst vor „von Gott gefundenen“, obwohl ich auch nicht möchte, dass ich das, was ich in meinem Leben erleben durfte, dieses erlebte Licht unter einem Scheffel halte.

Manchmal denke ich, dass die Leute, die anderen, es wortlos aufgreifen und durch den Wörterschein hindurch sehen. Ich ringe mit dem analytischen, explorativen, akademischen Rahmen, dem nach meiner Meinung, die Wesenserfahrung fehlt. Wie Studenten in ihrer Ausbildung eine Ratte anatomisch sezieren oder Experimente mit Froschmuskeln durchführen müssen, um die Gesetze der Physiologie kennen zu lernen. Aber eine Blume, die auseinander genommen wurde, ist nicht länger die lebende Blume auf der Wiese. Wie viel Wissen haben wir im Laufe der Jahrhunderte entwickelt, aber wie blind sind wir für die mystische, metaphysische, göttliche Seite unserer Existenz geworden. Wie Du, gehe ich nicht für ein „weder – oder“. Aber schon für die zwei oder vielleicht mehrere Welten, die gleichzeitig existieren.

So kam es an diesem Abend nach der Beerdigung einer guten Freundin, dass wir für einen Augenblick einen großen Lärm an der Haustür hörten. Erst am nächsten Tag stellten wir fest, dass es draußen unter dem Carport war. Ein großer Außenspiegel war in tausend Stücke gefallen und damit ein großes emailliertes Porzellanei. Das Aufhängungssystem hatte es aufgegeben. Aber die andere Frage ist, warum gerade an dem Abend? Und warum sind wir anfangs friedlich schlafen gegangen, ohne Antwort auf dieses seltsame fallende Geräusch? Am nächsten Tag stieß ich auf Texte über neblige Spiegel, die allmählich heller wurden. Und ich habe Jan Heetkamps These „In einem Nebel sehen“ studiert. Es fasziniert mich, warum genau an diesem Abend dieser Spiegel zusammen mit dem Porzellanei in tausend Stücke fallen musste. Für mich ist das fast so herausfordernd wie die Analyse eines Traums.

Wie wir unseren Traumaustausch auf unseren Reisen genossen haben, Traumanalysen innerhalb unserer Gruppendynamik. Und manchmal treten wir in die Fußstapfen derer, die uns inspirieren, und spielen im Dialog mit Fragen die Rollen von Graciaan, Teresa, Jung, Anselm Grün. Plötzlich können wir über Jahrhunderte hinweg miteinander reden und lassen uns nicht akademisieren mit Fragen darüber, ob es Reinkarnation nun gibt oder nicht. Oder dass unsere Rollendiskussion nur ein Fantasy-Theaterstück ist, weil “ist was wir sagen und tun, schon auf Quellen basiert, usw.”.

Und dann komme ich zu einer Essenz. Was hätte Jesus Christus in einer solchen Situation getan? Oft wurde er ganz still nach einer kritischen Frage und reagierte immer ganz anders als auf direkter inhaltlicher Ebene. Oder eine Geste oder eine Gegenfrage stellte die ursprüngliche Frage, ja sogar den Fragesteller, in einen anderen Kontext. Nicht selten zogen die Fragesteller still davon. Oder entdeckten, dass es um etwas grundlegend anderes ging.

Soweit jetzt. Kannst du mir noch folgen? Entdeckst Du eine Linie in meiner Geschichte? Was denkst du ist oder wurde noch nicht gesagt oder gefragt? Ich finde es ein gutes Gefühl, dass ich es wage, Dir alles zu fragen und zu sagen, und umgekehrt bin ich offen für alle Deine Fragen und Rückmeldungen. Könnte es sein, dass wir in diesem (Versuch) ehrlichen Austausch von Mensch zu Mensch unsere Bindung zu Gott, zu Gott-Mensch, legen? Ich schließe jetzt mit Rahners Gedanke, dass “der neue Gläubige des neuen Zeitalters ein Mystiker ist”. Die Sprache des Glaubens, die Formen des Glaubens ändern sich also, aber unter der Asche gibt es immer noch sehr viel „flammendes Feuer“.

18.00 H.

Hallo, wieder ein paar Stunden später. Nach der Vesper ein Gespräch mit X. Er kam in die Abtei, um etwas von der Welt der Spiritualität zu entdecken. Plötzlich so ein Jugendlicher, voller Geschichten zu Beginn seiner Geschichte und ich als interessierter, fragender “Ältester”, der bereit ist, allerhand zu erzählen, oder muss ich warten, bis mir die Fragen gestellt werden? Oder sollte ich so fragen, dass Fragen entstehen? So haben wir alle jung und voller Feuer mit dem Unbekannten angefangen. Das Leben leben! Auf der Suche nach Gott = “der zu erfahrenen Nicht-Erfahrbare” oder vielmehr der “Allgegenwärtige Abwesende” oder wie kann ich es sonst noch sagen, um zu verhindern, dass es versteinert, erstarrt. Es darf immer weiter fließen. Endlos dynamisch! Aber es ist in der Begegnung mit einander, der Austausch, die Ordnung im kreativen chaotischen Prozess, dass wir Ihm/Ihr vollständig „kennen“, „sehen“ dürfen.

Warum schreibe ich dir das alles? Nun, es geht darum, das Leben zu leben. Sie sind die prägenden Kräfte im Alltag. Ora et labora, wie in der benediktinischen Spiritualität. Mein Leben ist wie ein Gebet und mein Gebet ist wie ein Leben. Nun, das bedarf auch weiterer Erklärungen. Ich genieße und lerne viel aus den Geschichten gewöhnlicher Menschen und nicht aus akademischen, abstrakten Theorien, die sie manchmal weit vom Kern entfernen können. Wo bin ich jetzt, was will ich jetzt? Und dieses Ich ist ein anderes Ich, das für seinen eigenen Ruhm, Ehre, Macht und Reichtum zu leben scheint. Sie nennen es. Das ‘ich’ macht mich wirklich sehr einsam. Das ‘kleine Ich’ versteht das “All-Ein” – “allein”.

Sonntag, 12:00 Uhr.

Mein Papier ist alle; es ist schon so viele Tage später. Aber der Anstoß zu dieser Korrespondenz wurde gegeben. Ich gebe Dir diesen ersten Anstoß weiter, und Du wirst verstehen, dass meine Aufsätze aufgrund zahlreicher sprachlicher Einschränkungen früher nicht sehr geschätzt wurden. Ich werde mit Deinem Wohlbefinden fortfahren, aber im Moment wurde Schritt 1 unternommen und ich danke Dir, dass Du soweit gelesen hast. Gibt es eine Analogie zwischen Teresa und Graciaans Korrespondenz? Nur eine Assoziation en passant.

Pax et Bonum.

Brief 1, G - A.

Es geht gleich los. Am ersten Tag meines Aufenthalts hier hörte ich in der Eucharistie das Evangelium vom schmalen/breiten Tor und den schmalen/breiten Weg vorlesen (Mt 7,13-14). Das Bild erschien mir als Metapher für die Beantwortung unserer Frage.

Die Ironie von Jahrhunderten von Kirchengeschichte ist, dass das Christentum zu einem breiten Weg geworden ist. Menschen passten sich aus Gewohnheit oder Trägheit oder unter sozialem Druck oder elterlicher Erwartung an. Eine eigene persönliche Entscheidung war nicht oft die Grundlage dafür. Und darum geht es doch bei dem schmalen Weg. Um eine Stellungnahme gegen Konventionen. Um ein lebenslanger Prozess des Findens und Verlierens und des erneuten Findens. Das Christentum war in den vergangenen Jahrhunderten eher Sache der Massen als des Einzelnen. Doch der schmale Weg hat genau dieses Individuum im Sinn. Der schmale Weg richtet sich auf das, was Du in Deinem Brief so treffend beschreibst: „um am richtigen Augenblick, am richtigen Ort das zu tun wofür gerade Du da bist.

Wenn ich nach dem möglichen Sinn des Klosterlebens für jetzt und für die Zukunft suche, scheint es vielversprechend, weiter in diese Richtung zu denken. Und die Pfarrei als kirchliches Angebot für die große Gruppe zu sehen. Und die Abtei als kirchliches Angebot für den Einzelnen. ‘Monos’ ist der Ursprung des Wortes ‘Mönch’: der Alleinlebende, der Einzelgänger, der einteilige Mensch, der Mensch mit einem Fokus. Die Stärke des Mönchtums besteht darin, dass sie dieses Einzelgänger-sein mit Gemeinschaft verbindet. Es ist Benedikt, der diese Richtung mit großer Weisheit angedeutet hat. Das monastische Leben ist eine Gemeinschaft von Individuen. Die Gemeinschaft hier hat nicht die Funktion, die Norm durchzusetzen, zu konkurrieren wer Recht hat oder um die Macht zu rivalisieren. Die Gemeinschaft hier bietet vor allem Raum an jeden, sich selbst zu sein. Der gegenseitige Kontakt zielt – im Idealfall – hauptsächlich darauf ab, die Eigenheit zu fördern: sich gegenseitig zu befragen, ohne zu urteilen, sich in schwierigen Momenten der persönlichen Entwicklung gegenseitig zu unterstützen, sich gegenseitig zu ermutigen, den eigenen Weg weiter zu suchen und weiter zu gehen .

Wenn ich das so aufschreibe, werde ich mir eines Paradoxons bewusst: Auf dem breiten Weg gerät die Individualität unter Druck, auf der schmalen Straße findet sich Raum für Eigenheit.

Überraschenderweise sehe ich die ideale Situation eigentlich sehr rein und gleichzeitig sehr bescheiden, in unserer Gruppe von Freunden. Wohl betrachtet, sind wir eine Gemeinschaft von Einzelgänger. Jeder von uns ist anders. Und wird angeregt, anders zu sein, anstatt sich anzupassen. Wir haben nach und nach einen Weg gefunden, jeden als Individuum zu sehen und an zu erkennen. Und um es zu genießen. Und daraus zu lernen. Unsere Träume zu teilen und sich gegenseitig zu helfen, sie zu verstehen, ist für mich der Höhepunkt unserer Gemeinschaft von Individuen.

Die Frage des MPC-Projekts betrifft die Möglichkeit einer klösterlichen Seelsorge. Als Antwort möchte ich untersuchen, wie eine Gemeinschaft gebildet werden kann, in der dem Einzelnen maximal Raum gegeben wird. Vielleicht hast Du in der Basisgruppe bereits Erfahrungen damit gesammelt?

Das Bild des breiten und schmalen Tors erinnert mich an ein Lieblingsspielzeug meiner damals noch (sehr) kleinen Kindern. Der Trick bestand darin, alle möglichen Formen – ein Quadrat, ein Rechteck, ein Kreuz usw. – durch die eine geeignete Öffnung oben auf dem Spielzeugbox zu bekommen.

Ich stelle mir jetzt vor, dass wir in unserer Beziehung zu Gott vielleicht auch einzigartige Formen sind, die nur auf eine Weise den Durchgang finden müssen. In der Volkskirche der Vergangenheit wurde dem kaum Beachtung geschenkt. Und diese Aufmerksamkeit hat in der modernen Kultur eigentlich nicht enorm zugenommen – trotz der Betonung von Autonomie und Selbständigkeit. Marktmechanismen und massenpsychologischer Beeinflussung  beschränken die Entwicklung eines wirklich persönlichen Lebens; Es gibt auch das, was Du geschrieben haben, nämlich den Druck, alles so schnell und einfach wie möglich zu präsentieren. In der monastische Kultur hingegen gibt es das Bewusstsein des einzigartig geformten Menschen, der – oft mittels einer langen Reise und vielen Kollisionen und Momenten des Nicht-passens – die Öffnung findet, um seinen Boden zu begegnen.

Durch eine runde Öffnung bekommt man nie ein Quadrat – das mussten meine Kinder damals erfahren. Kurz gesagt, ist das die Weisheit des engen Tores. Die Strategie des breiten Tors besteht darin, die Öffnung so weit zu machen, dass alle Formen hindurchgehen können. Oder als Variante: alle Formen so polieren, dass sie alle durch dieselbe Öffnung gehen können. Das frühere Katholische Leben hatte viel davon. Einen kollektivistischen Gang durch das Leben.

Die Gemeinschaft der „Einlinge“ könnte eine Alternative bieten: Jeder hat seinen oder ihren  einzigartigen Zugang zum Mysterium – in Verbundenheit mit anderen, die ebenfalls an diesem einzigartigen Prozess beteiligt sind.

Was hältst Du von dieser Idee?

Wenn ich die Aussage über den engen und breiten Weg noch einmal lese, scheint es mir, dass Jesus sich nie eine massive Kirchengemeinschaft vorgestellt hat. Er scheint vielmehr zu warnen, dass die Masse zur Zerstörung führen wird. Gleichzeitig verbirgt sich in dem Bild, das er verwendet – vor dem Hintergrund der Zeit, in der wir jetzt leben – etwas Tröstliches und Inspirierendes: in seiner ursprünglichen Form ist die christliche Bewegung die Bewegung einer Verbindung, die es wagt, einem schwer zu findenden Weg zu gehen. Man kann den Verlust einer großen Volkskirche bedauern, aber möglicherweise spielten gerade dort die Mechanismen, die den Weg nicht frei machen und zum Leben führten. Säkularisierung und Verdunstung der Kirche können ein “Segen in Verkleidung” (blessing in disguise) sein.

Eine andere Assoziation, die mir in den Sinn kommt, ist, dass der Verzicht auf den breiten Weg immer eine Form der Einsamkeit mit sich bringt. Wenn ich auf meine Jahre in der Einrichtung zurückblicke, stelle ich fest, dass ich mich eigentlich immer anders und seltsam gefühlt habe, weil ich einen anderen Ansatz befürwortet habe als den allgemein akzeptierten. Wie war das bei Dir? Ich kann mir vorstellen, dass Du auch solche Einsamkeit erlebt hast. Einerseits warst Du in Deinem Beruf Teil der Hauptstraße. Aber du hast das auf Deine ganz eigene Art gemacht, entlang dem schmalen Weg. Vielleicht wurdest Du deshalb – umgekehrt gedacht – extra geschätzt?

Es gibt auch noch eine Assoziation mit der Geschichte des Kamels und des Nadelöhrs. Das schmale Tor deutet darauf hin, dass viel zurückgelassen werden muss, was nicht wirklich zu einem gehört. Dass nur dein wahres Selbst durch die Öffnung gehen kann. Was würde alles zu diesem Loslassen gehören? Sicherlich die Ideen und Bilder. Über dich selbst, über die Anderen, über Gott. Konzepte, die wir übernommen oder selbst geschaffen haben. Und die eher behindern als befreien. Deshalb verstehe ich Dein Zögern, explizit über Gott zu sprechen, sehr gut. Allzu oft führt dies zu Missverständnissen oder Diskussionen, die das Wesentliche verfehlen. Vielleicht passt das Wortlose, wie Du schreibst, viel besser. Vielleicht ist der Einzelgänger auch eine schweigsamer Mensch. Eine Person, die in der Stille zu Hause ist. Ein Mensch, der durch sein oder ihr Wesen spricht.

Dann die Frage nach dem Zweck all dessen. Worüber machen wir uns eigentlich Sorgen? Was steht auf dem Spiel? Was würde verloren gehen, wenn der schmale Weg nicht mehr gesucht oder begangen würde? Soweit ich das beurteilen kann, hat die Antwort mit dem endgültigen Sinn des Lebens zu tun. Der breite Weg ist kein befriedigender Weg, wenn es um den Sinn des Lebens geht. Er bietet Sicherheit, Erfolg, Prestige, Macht, aber er lehrt keine Tiefe, keinen Wert, der anhält, keine Liebe. Und wieder, man muss ein Individuum sein, um sich dies zu realisieren.

Das monastische Leben verbindet den schmalen Weg eng mit der Stille. Es ist, als ob Stille das wichtigste Mittel ist, um uns zu reinigen, uns sauber zu waschen, Phantome, Oberflächlichkeit, Nachreden und Konditionierung loszuwerden. Die Gemeinschaft der Individuen ist eine Gemeinschaft der Stille. Die Stille spielt auch in unserer Gruppe von Freunden eine zentrale Rolle. In der Stille finden wir unsere wahre Natur und bestätigen/stärken gemeinsam unsere wahre Natur.

Abschließend möchte ich noch kurz auf Deine Frage eingehen, was Theresa und Gratian über das MPC-Projekt denken würden. Meine Fantasie ist, dass Teresa nicht viel darin sehen würde. Sie ist mehr die Frau des Tuns als des Planens. “Fang einfach an” – würde sie sagen – “dann kommst Du automatisch zu dem, was Du lernen musst.” Ich erkenne Deinen Lebensstil darin. Oft fängst Du auch aus einer solchen Einstellung an. Ich finde das wunderbar. Meine Fantasie ist weiter, dass Gratian mehr an diesem Projekt interessiert wäre. Er hielt Theresa oft von ungestümen Plänen ab und bildete ein Gegenüber für sie, das sich auch für den Wert von Reflexion und Beratung einsetzte. Aber beide – immer noch in meiner Fantasie – würden Seite an Seite für die Wichtigkeit stehen, dass es Orte gibt/geben wird, an denen der schmale Weg praktiziert wird und an denen die Menschen sie erlernen können.

In Freundschaft,

G.

Brief 2, A an G.

Dieses Wochenende bin ich alleine mit dem Hund und den Hühnern zu Hause. Meine Frau ging zu unserer Tochter und unseren Enkelkindern. Ich erkannte meinen Wunsch, diesen Brief nicht zu verschieben, bis ich in die Abtei zurückkehre. Ich suche die Abtei hier in und um mich herum. Aber das führt zu Tausenden von Ausreden, das Schreiben, was ich möchte,  zu verschieben. Zuerst noch dies und das. Zuerst noch einige kleine Arbeiten. Doch kurz fernsehen? Nein, ich will einfach nicht fernsehen. Oder zuerst noch ein bisschen Zeitung lesen? Es muss auch noch gebügelt werden. Es gibt so viel auf meiner To-Do-Liste. Ich werde Dich nicht belästigen mit dem, was drauf ist. Es nimmt mich von dem Brief weg, den ich schreiben möchte. Ich bereite einen Notizblock und einen Stift vor. Der gesamte Notizblock ist bis auf zwei Blätter bereits vollständig beschrieben. Ich stoße auf 20 Seiten Notizen von Ende Dezember 2012 mit allen Notizen zum Nihilismus nach T. Ich erinnere mich an nichts davon. Sehr interessante Materie. Aber habe ich einen ganzen Tag damit verbracht, in Gegenwart von Professor T zuzuhören und mir Notizen zu machen, und ich erinnere mich an nichts davon? Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass ich dieses Wissen irgendwie in mir gespeichert habe, zusammen mit vielen weiteren „allerhand Anderen“. Bin ich das nun? “Die Speicherung des Wissens aller Arten von Menschen, die ich kennenlernen durfte und denen ich zuhören durfte oder die mich herausforderten, mich selbst besser zu hinterfragen?”

Heute Morgen bin ich in die Pfarrkirche gegangen. Ich bemerke eine gewisse Verlegenheit, als Kirchgänger gesehen zu werden. Es fühlt sich an, als würde ich zu einer Gesellschaft gehören, wovon ich mich nicht wage zu trennen und mich nicht trennen möchte. Es fühlt sich an, als ob ich noch in den alten Tagen stecke. Meine Großmutter hat einmal gesagt, dass ich mich von der Meinung der Anderen befreien muss und sie hat/hatte völlig recht damit. Ich projiziere wahrscheinlich das, was andere über mich denken, in deren Köpfe und Münder.

Die Frage ist nun: was reizt mich an der Kirche und besonders an der Eucharistie? Ich treffe Menschen aller Art in der Kirche. Ich fühle dort eine Verbindung in all unserem Anderssein. Ich kann diese Verbindung wirklich erleben und zulassen, und das habe ich auf Massenpartys wie Karneval oder Kirmes nicht. Dort bekomme ich nicht das Gefühl vom Anschluss, das ich in einer Gemeinde erlebe. Es ist, als ob wir dort den Kern des Lebens teilen, trotz der Unzulänglichkeit aller Arten von äußeren Formen. Für mich ist das Teilen des Lebens in einem großen Massenereignis viel Lärm, viel leeres Reden und Pseudo-Gemütlichkeit, wo ein echtes Treffen mit dem anderen durch Lärm und Bewegung, durch viel Essen und Trinken unmöglich gemacht wird und man muss mitmachen, sonst gibt es kein Platz für dich. Der Geselligkeitskult muss aufrechterhalten werden.

In einer Kirche und sicherlich auch in einer Kirchengemeinschaft finde ich den Raum für Verbundenheit, Stille und Vertiefung. Ein Ort, eine Gemeinschaft, um dem Alltag zu entfliehen.

Ich sprach über die Abtei in und um mich herum. Es ist nicht falsch, diesen Ort, diese Zeit im täglichen Wahnsinn zu schaffen, um seine eigene Abtei wahr werden zu lassen. Dann muss man nicht warten, bis man wieder in der Lieblingsabtei ist, aber es ist auch hier und jetzt möglich!

Ich stelle fest, dass die Konzentration und das Engagement noch nicht mit denen vergleichbar sind als wenn ich in der Abtei bin. Aber auch hier kann ich bewusst vermeiden, abgelenkt zu werden, um bloß nicht diese Vertiefung erreichen zu müssen. Ich erkenne dies auch in der täglichen Morgenmeditation. Bevor ich wirklich auf der Zen-Bank sitze, schnell noch dies, schnell noch das. Aber dann bin ich glücklich, wenn ich einmal sitze und für den Segen über diesen Tag bete. Für die Menschen, die ich begegnen werde, mit denen ich arbeiten werde, und für die Situationen des Tages. Ich lese einen Psalm oder einen Bibeltext. Ich lese einen Text aus einer spirituellen Tradition. Ich lese, ich meditiere, ich bete und ich kontempliere. Letzteres bedarf einer Erklärung. Kontemplation ist das: dass du nur noch bist und in Gott aufgehst. Ich bin jetzt auf dünnem Eis. Weiß ich noch, worüber ich schreibe?

Wie würde ich Kontemplation selbst umschreiben? Auf jeden Fall ist es etwas, dass mich überkommen darf. Man kann es nicht erzwingen. Die Disziplin des täglichen Gebets hilft dabei, die Bedingung zu schaffen, dass das, was man betet, liest, denkt, erlebt, plötzlich zu einem Ganzen wird. Ich mit diesem Ganzen und diesem Ganzen mit mir. Kurz frei von alltäglichen Tue-Sachen, die mich oft von dem fernhalten, was ich wirklich tun möchte. Und da ist wieder diese Dualität. Ich möchte schon, aber verschiebe es. Ich suche Ablenkung in allen möglichen Kleinigkeiten.

G, ich komme darauf zurück. Mein zweites Blatt ist vollständig beschrieben. Ich muss nach einem neuen Schreibblock suchen.

Teil 2.

Vor ein paar Tagen habe ich mich entschlossen, während unseres Zwischenstopps in der St. Wandrille Abtei nach einem Ort zu suchen, an dem ich im Schatten schreiben kann. Ich fand eine kleine Mariakapelle in der Nähe des Friedhofs und des Eingangs zur neuen Scheunenkirche. Es ist extrem heiß. Dies gilt nicht nur für hier, sondern auch für Paris, die Niederlande, ja, ein Großteil Europas hat mit Temperaturen über 40 Grad Celsius zu kämpfen. In der Ferne höre ich das Grollen des Donners.

In dieser Kapelle ist es sehr ruhig und friedlich. Was für ein Unterschied zum Trubel einer Stadt wie Lille mit ihren vielfältigen Möglichkeiten und interessanten Dingen, die man entdecken oder kulinarisch genießen kann. Kaum Zeit still zu stehen. Beeindruckt von dem, was die Menschheit im Laufe der Jahrhunderte geschaffen, zerstört und wieder aufgebaut hat. Beeindruckt, wie viele Menschen als Obdachlose und Landstreicher ausgelassen werden. Was tun mit Bettlern oder Müttern mit Babys, die ihre kleinen Kinder zum Betteln anregen? Man  hat alle Arten von Kategorien. Wie ist es möglich, dass ein Mann, von Beruf Manager, in Unordnung gerät und seit 10 Jahren als Obdachloser unbemerkt in einer Großstadt lebt? Wenn dies zutrifft, möchte ich gerne mit einer solchen Person besprechen, an welchen Kreuzungen alles schief gelaufen ist. Warum er keine Rettungsleine finden konnte. Ich schreibe jetzt viel über Landstreicher und Obdachlose, über die Großstadt und die Bescheidenheit einer Abtei. Das alles ist die Welt.

Zum Beispiel gab es heute eine begeisterte, liebe junge Frau, die hier Führungen gibt. Sie hatte keinen religiösen Hintergrund, war aber als Freiwillige eingesetzt worden, um Menschen herumzuführen. Wie schwierig ist es, die Geschichte ohne einen Kontext zu erzählen, der von Kindheit an durchlebt und weitergegeben wurde. Wie faszinierend ist es, einen so begeisterten, neugierigen jungen Führerin zu treffen, die sich freut über die Fragen, die wir stellen und offen für Erklärungen ist, die ihr noch unbekannt waren. Die Gefahr des erfahrenen Führers besteht darin, dass er als sachkundiger Führer fungiert und Fragen und andere Erklärungen abschmettert.

Ich erkenne eine Parallele zu dem, was ich zuvor über die Arroganz der kirchlichen Wisser geschrieben habe. Auch jetzt bin ich der hochmütigen Haltung einiger Prälaten abgeneigt. Um mich gleichzeitig glücklich zu wissen, mit dem Lächeln des präsenten aber auch stillen Mönches. Wie pflegt man eine stille, freundliche und engagierte Lebenseinstellung, wenn auch die Welt der Stadt an deine Abtei-Türen pocht?

Die strenge Tagesordnung, wie die der Benediktiner, hilft, konzentriert zu bleiben und kann einem unterstützen, wenn man von der Nacht, Zweifeln, Unglauben, Nichtwissen überwältigt wird … Was für eine Stärke, es zu wagen, das zu ertragen und nicht seinen Halt in einer Scheinwelt zu suchen. Auch wenn manche Menschen das Klosterleben als eine Scheinwelt betrachten. Eine Welt, in der Menschen fliehen. Eine Welt voller Rituale, in der der Ritus wichtiger zu sein scheint als das, woraus der Ritus jemals hervorgegangen ist. Teresa ist dem wahrscheinlich auch zu ihrer Zeit begegnet: dem Klosterleben als Flucht vor der Realität unter dem Deckmantel, ein Gottessucher zu sein.

Die äußere Form kann sowohl sehr authentisch als auch scheinheilig und entfremdend sein. Indem man es wirklich wagt, Letzteres zu schauen, zu meditieren und vielleicht sogar zu kontemplieren, kann man Raum für den wahren Gottessucher schaffen.

Ich bin immer noch in dieser Kapelle. Normalerweise sollte es hier kühl sein, aber hier ist es auch warm. Zu der Zeit, als ich hier schreibe, kam ein Ehepaar reinschauen, und hörte die Regentropfen fallen. Ich habe versucht, Regenradar auf meinem Handy zu konsultieren, aber ich habe hier keine Internetverbindung. Das Donnergrollen hat sich weit entfernt. Hier bleibt es also noch warm. Komisch, dass das Internet hier nicht konsultiert werden kann, an diesem Ort, an dem alle spirituellen Antennen ausstehen können.

Was halte ich von so einem jungen Mann, der vor einer alten Marienstatue mit Kind betet, als würde er Maria selbst sehen und sprechen. Was halte ich von diesem jungen Mann, der sich so tief verbeugt und kniet, als er sich dem Tabernakel nähert? Ich frage mich, was er tut, wenn keine Leute zuschauen. Werden unsere Handlungen von den anderen bestimmt? Sind die Fragen, die ich mir stelle, und die Dinge, die ich um mich herum sehe, nicht mehr menschliche Reflexionen über mich selbst als Beobachtungen der Außenwelt?

Ich höre wieder Schritte im Kies. Ein Paar betritt die Kapelle. Hier finden sie die Kühle vor draußen, die ich nicht mehr bemerke, weil die Kapelle auch warm geworden ist. Es stört mich nicht, dass sie da sind. Ich verspüre den Drang, einfach weiter zu arbeiten, nachdem ich sie freundlich guten Tag gewünscht habe. Das ist, was ich erfahre, dass ein Lächeln mir gut tut und ich denke, das ist gegenseitig. Etwas, das wir uns gegenseitig “um-sonst” geben können.

Ich schreibe einfach weiter. Ich spreche kaum über Gott und ich fühle, dass jedes Wort etwas über Gott sagt; etwas von dem Unnennbaren aufklingt. Als ob in jedem Wort eine Welt an Bedeutung liegt.

Ich freue mich, dass uns die Frage nach dem MPC-Projekt auf diesen Weg der Korrespondenz gebracht hat. In vollständiger Übergabe schreiben und sich anvertrauen, was ich Dir präsentieren möchte. Ich fühle mich nicht wie dieser Vertreter der Kirche, den ich auch im Kloster entdeckt habe. Kein Hallo oder Lächeln können sie von sich geben. Er geht stolz mit dem Kopf hoch durch das Gebäude, vorzugsweise auf dem ersten Rang und im Priesterchor. Hat die Kirche als Organisation nicht eine große Anziehungskraft für manche, Karriere zu machen und Macht in dieser Welt zu erlangen? Wo ist die Lehre Christi, die sagte: “Ich bin nicht gekommen, um zu herrschen, sondern um zu dienen”?

Ich bin Riten nicht abgeneigt. Wenn ich diesen jungen Mönch sehe, mit welcher Aufmerksamkeit und Sorgfalt er immer die sechs Kerzen am Altar bereit stellt. Die eine Kerze doch etwas weiter rechts, die andere etwas mehr nach links. Es scheint mir nicht zwanghaft zu sein, sondern als Aufmerksamkeit und Ehrfurcht vor den Anderen und vor den Dingen. In welcher Beziehung stehen diese Kerzen zu den Obdachlosen und Landstreichern in der Stadt? Hat jemand jemals diese Frage gestellt? Wie schnell wird diese Frage mit der Antwort NICHT geklärt. Und damit bin ich nicht einverstanden. Ich bin überzeugt, dass die Ereignisse auf der Welt miteinander verbunden sind und die Pflege der Kerzen hier, wer weiß, an einem anderen Ort hilft, zur Sorge für einen Mitmenschen beizutragen. Wer weiß, jemand in der Kirche könnte von dieser Sorge um die Kerzen berührt worden sein. Und vielleicht nimmt er oder sie dies, vielleicht unbewusst, auf seinem/ihrem Lebensweg mit und führt es zu der gleichen Aufmerksamkeit, Konzentration, Wachsamkeit und Sorgfalt, die der Mönch für seinen Kerzenhalter mit Kerzen hat.

Ich wusste, ich würde dir heute schreiben. Ich wusste nicht, welche Wörter auf dem Papier landen würden. Es ist eine Kristallisation von Erfahrungen und Gedanken. Ein Sieben von Sein und Schein und Schein und Sein.

Ich habe das auch in ein Haiku verwandelt. Möglicherweise einer von 70 für die Sammlung des nächsten Jahres. Willst du ihn schon hören?

Voilà – Du darfst ihm bereits hören, obwohl alle Haikus zuerst redigiert werden müssen. Welche Illustration wird es bekommen? Es ist beabsichtigt, dass jedes Haiku auch eine Illustration bekommt.

Wann wird Sein Schein?

Welt der Hypokrisie

Wenn Du verneint wirst! …

 

Es hat immer noch nicht angefangen zu regnen und der Fluss in der Nähe der Abtei fließt weiter. Laut Teresa: Wir müssen das Wasser holen, der Regen bleibt noch aus. Wie überwältigend die Blumenpracht in Avila nach den Regenwochen zuvor war.

A

Brief 2, G - A.

Lieber A,

Hätte es nicht auch mit Gott zu tun, dass die Menschen weiterhin an Klöstern interessiert sind, sich aber nicht mehr an dem beteiligt fühlen, was in den Pfarreien geschieht? Gibt es nicht einen großen Unterschied zwischen dem Gott der Abtei und dem Gott der Pfarrei?

Ich möchte Dir sagen, wie ich zu dieser Frage gekommen bin. In der durchschnittlichen Kirche ist Gott in meinen Augen vorhersehbar. Was über Gott gesagt wird, ist oft klischeemässig: dass er Liebe ist und Liebe von uns verlangt und dass alles klappen wird, wenn wir uns darauf einstellen. Nicht falsch, aber nicht sehr aufregend. Oft gibt es noch Weiteres, das mich dazu bringt, das Leben in der Pfarrei zu meiden – wie eine Atmosphäre der Häuslichkeit, zu stark von der eigenen Überzeugung überzeugt sein, Aufregung um Kleinigkeiten.

Der Gott, den ich in der Abtei finde, hat einen anderen Charakter. Gott ist unergründlich still. Bodenlos. Oft empfinde ich Ihn als fremd, als große Unbekannte. Aber manchmal auch als überraschend präsent und fast greifbar wie eine wunderbar glänzende Blase, die gleich wieder  explodiert. Und was mir sehr gefällt und mich beeindruckt: Mönche sprechen im Allgemeinen nicht aus einem Wissen, sondern aus einem Nichtwissen über Gott. Wie bemerkenswert: sie investieren ihr ganzes Leben, ihre ganze Zeit und Ehrgeiz, um sich einer Dimension zu nähern, wovon sie im Voraus wissen, dass er unkennbar ist.

Als Student habe ich gelernt, dass Theologie Anthropologie ist. Was über Gott gesagt wird, sagt auch sofort etwas über den Menschen aus. Die Beschreibung Gottes hat direkte Konsequenzen für die Beschreibung des Menschen. In dieser Linie weiter gedacht, finde ich nicht nur einen anderen Gott in der Abtei, sondern auch ein anderes „ich“.

Es versteht sich von selbst, dass hier viele Dinge wegfallen, die sonst die Tage füllen würden. Meine eigene Häuslichkeit, meine eigenen vermeintlichen Gewissheiten und meine eigenen Trivialitäten werden weniger genährt. Und wenn Nebenprobleme verschwinden, besteht eine größere Chance, auf den Punkt zu kommen. Aber meiner Erfahrung nach ist es genau der Kern, der sich oft als leer herausstellt – oder auf jeden Fall auch schwer erfassbar. Das ist es, was Leben in einer Abtei oft mit mir macht: dass ich erfahre, dass ich eigentlich im Dunkeln tappe über wer ich bin und dass ich kaum die Grundlage finden kann, auf der mein Leben steht.

Verstehst du was ich meine? Vielleicht erkennst Du es auch?

Das Nicht-Wissen über Gott und das Nicht-Wissen über mich selbst, ist nicht angenehm um zu erfahren. Trotzdem wende ich mich nicht davon ab. Anscheinend hat es für mich einen Sinn oder Wert. Welche?

Zu diesem Zeitpunkt kenne ich keine bessere Antwort als eine Gleichung. Es ist wie das, was Menschen zu einer Wanderzug motiviert. Warum verlassen sie ihre komfortablen Häuser, ihre Autos, ihre gut sortierten Kühlschränke, um auf dem Land zu campen und auf steilen, unbequemen Wegen zu stolpern – nur mit einer Kolben und einigen knappen Vorräten versehen?

Damals haben wir mit unserer Gruppe von Freunden auch so angefangen. In Deinem vorherigen Brief hast Du daran erinnert, wie wir zu unserer Überraschung in einem Kloster gelandet sind, das nicht einmal auf der Karte stand. Und an die besonderen Erfahrungen, die wir dort gemacht haben. Aber ich erinnere mich auch, wie erschöpft und angespannt ich die Stunden zuvor war.

Es ist die heftige Abwechslung, die einen Wanderzug auszeichnet – eine Abwechslung, die hauptsächlich durch die Tatsache verursacht wird, dass vieles nicht mehr unter Kontrolle ist. Vielleicht motiviert genau das Wanderer und Pilger. Nicht länger die Realität lenken zu wollen (und dadurch von der Realität entfremdet zu sein) und stattdessen echten Kontakt mit der Realität herstellen. Und im weiteren Sinne: echter Kontakt mit sich selbst und mit anderen. Deren Verlangen zielt darauf ab, berührt zu werden – diesmal von der Verzweiflung, warum doch eine solche Reise zu unternehmen, dann wieder von der Entzückung und der Verwunderung, wozu ein freies Unterwegs-sein führen kann.

Mir wird jetzt plötzlich klar, dass der alte Gott der Bibel ein Gott der Streuner war. Und dass die stark unterschiedlichen Erfahrungen, die zu einer Wanderzug gehören, auch die Erfahrung färben, die mit diesem Gott gemacht wurde. Von lieb und fürsorglich bis hart und abwesend. Ein Gott, der noch nicht von Moral, Ritual und Dogmatik gezähmt wurde.

Was kann aus diesem Vergleich geschlossen werden? Hoffentlich dies: so wie sich der Streuner der (äußeren) Realität aussetzt, über die er keine Kontrolle hat, komme ich in der Abtei zu einer Konfrontation mit einer (inneren) Realität, die ich nicht kontrolliere. Und so wie der Streuner beschließen kann, nach Hause zurückzukehren, kann ich mich auch dazu entschließen, zur Sicherheit meiner Identität zurückzukehren, in der ich zu Hause bin. Aber solange ich es nicht tue, bleibe ich in mir selbst in einem fremden Ort.

All dies macht einen Abteibesuch – anders als bei einem Kirchenbesuch – aufregend und abenteuerlich. Was nicht immer angenehm bedeutet – das habe ich schon geschrieben. Die eigene Identität scheint die grundlegendste Realität zu sein, aber es ist nicht das Wesentlichste, was gesagt werden kann. In der Abtei stoße ich in mir auf etwas darunter: eine Nicht-identität wie man im Zen sagen würde. Ein Raum, in dem persönliche Geschichte, Vorlieben, Eigenschaften, Fehler, Ziele keine Rolle spielen. Die Abtei ist ein ausgezeichneter Ort, um das Betreten dieses Raumes zu üben. Um es nicht zu fürchten oder vor ihm wegzulaufen. Sich damit vertraut zu machen.

Ich befürchte, dass ich in diesem Brief (wie übrigens in meinem vorigen Brief), unverantwortlich verallgemeinere. Trotzdem werde ich abschließend noch kurz damit weitermachen. Allgemein gesagt, ist meine Erfahrung, dass die Gemeinde mich umrahmt und mich unfrei macht und dass die Abtei mich ent-rahmt und mich so frei macht, dass es mir manchmal innerlich schwindelig wird.

Ich bin gespannt, was Du von diesem Gedankengang hältst. Und ob es noch gesund ist, so zu denken.

In Freundschaft,

G.

Brief 3, A - G.

„Liebbarer“ G,

Ich schreibe “liebbarer”, weil “lieber” zu alltäglich klingt und ich sehr dankbar bin für diese besondere Freundschaft zwischen uns.

Heute versuche ich zu schreiben aus der ‚Abtei in mir selber‘ heraus. Also bin ich in meinem Sprechzimmer, wie Du es auch kennst. Ich legte den Schreibblock bereit und legte Mantra-Musik auf. Die CD wird vom CD-Player im Wartezimmer abgespielt. Es klingt wie das Geräusch des Windes und wie das Geräusch der Wellen des Meeres. Vorbereitungen, um die Ruhe und die mentale Einstellung zu finden, um den Stift schreiben zu lassen. Oh ja, ich suchte auch nach einem Stift, der angenehm und reibungslos schreibt – er gleitet über das Papier.

Ich habe gerade die Zusammenfassung unseres vorherigen Gesprächs gelesen. Es ist großartig, dass wir diese Reflexion immer wieder zurückbekommen können. Das Erkennen in dem, was geschrieben steht und die Entdeckung, dass die Erinnerung in mir manchmal gerade etwas anders ist. Aber so ist es mit allem, was wir vor kurzem oder vor Jahrhunderten einander übertragen haben. Was wir aneinander weitererzählen und wie sich die Botschaft immer ganz leicht ändert. Ich meine anders in Worten. Ich bin überzeugt, dass der Kern, des Kerns des Kerns, die Urbotschaft ist, war und sein wird.

Währenddessen klingt das Mantra Namasté: „Ich grüße dich und den göttlichen Kern in dir, Namasté“. Das Namasté-Mantra klingt immer weiter, besungen von Frauen, von Männern, und von Männern und Frauen zusammen. Anima und Animus in einer universellen Verbundenheit.

Letzten Mittwoch sind wir ins Ethnologische Museum in Leiden gegangen. Es gab die Ausstellung die „Heilende Kraft“. Eine unglaubliche Vielfalt an Heilformen, Wegen, Ritualen, und so weiter. Was mir auffiel, war, dass ich in all dieser Vielfalt in eine Art Rausch der Erkennung und Vertrautheit geriet und wie ein Anruf aus der Garage mich wieder ganz stark zum Leben hier und jetzt zog, mir aber auch klar machte, dass ich in einer Atmosphäre gelandet war, die half mehr zu verstehen, als nur in Worten gefassten übertragbares Wissen.

Ich entdeckte, dass der Berater dieser Ausstellung ein Mann war, der sozial abgestiegen war, weil er sein Wissen und seinen Rat umsonst mit den Menschen geteilt hatte. Er arbeitete aus Intuition und einem unglaublichen Vorrat an Wissen und Lebenserfahrung. Ich denke, er konnte daher eine Atmosphäre vermitteln, die nicht nur mit dem Verstand geschaffen werden kann. Zum Beispiel wurde mir klar, dass wir als Menschen selbst wenig oder gar nichts erfinden, aber immer wieder neu entdecken. Es war schon dort, sehr lange. Weit jenseits lebendiger Erinnerung.

Weißt Du, G, ich hatte vor, diesen Brief Ende September in der Abtei zu schreiben. Aber es gibt in jenen Tagen für mich keinen Platz mehr zum Bleiben. Letztendlich führt diese Unmöglichkeit dazu, die ‚Abtei in mir‘ heute in die Praxis um zu setzen. Ich mache mir Sorgen, dass die Abtei in Gefahr ist, mit wieder neuen Oblaten aus den Nähten zu platzen. Der heutige Gast erhält bereits die im Voraus zu zahlende Rechnung. Tage, nein, Monate im Voraus muss man sich anmelden. Die Mönche sind zunehmend von den Gästen entfernt. Es ist eine Herausforderung, in schwierigen, aber auch in Zeiten des Wohlstands gut für die Seele der Abtei zu sorgen. Ich dachte einmal, dass eine blühende Kirche so gut organisiert ist, dass für den Heiligen Geist kein Platz mehr ist. Und wenn dafür kein Platz mehr ist, dann töten wir Christus wieder und mit Ihm auch Gott den Vater.

Dies sollte der letzte Brief sein, der dritte im Rahmen des MPC-Projekts. Es ist eine Markierung. Ich hoffe, unsere Korrespondenz kann fortgesetzt werden. Geschrieben ist doch anders als gesprochen. Das Eine ist nicht mehr als das andere, aber schon anders! Möglichkeiten, es in gesprochenen und geschriebenen Worten auszudrücken, aber auch in Tanz, Musik, in einem menschlichen Blick und einer menschlichen Geste. Wir schließen das Projekt. Aber der Prozess geht weiter. Wie dankbar ich für diese Herausforderung bin. Wie froh ich bin, dass wir uns über diese Korrespondenz und nicht über einen Artikel austauschen. Ein Artikel würde die Fragen zu sehr rational beantworten.

Welche Frage übrigens? Wie hat der “Unbenennbare”, der “All-gegenwärtige”, der “All-schaffer”, der “Alles-Nichts”, der “Nichts-Alles”, der “All-Eine”, der “Ursprung und das Ende”, der “Ewige”, Er/Sie mit mehr als tausend Namen, einen Platz in meinem, in unserem Leben?

Ich komme dann zu der Frage: „Und wie bringen wir das zu den nächsten Generationen; ja, zu Menschen um uns herum, die diese Sprache nicht verstehen?“ Lass mich anfangen mit der Frage ob “Ich richtig verstehe?” Und was mache ich, um daran zu arbeiten? Dieser authentische Prozess, daran zu arbeiten, das ist es, worum es meiner Meinung nach geht, und das ist gleichzeitig die Antwort an die anderen aus meiner Generation und an die aus anderen Generationen. Sie helfen uns auch, Antworten zu finden und umgekehrt. Wiederum gilt hier, dass „ich“ nicht die Wahrheit besitze, und dass ich glaube an das Wirken des Heiligen Geistes, der manchmal auf sehr unerwartete Weise wirkt.

Wir haben letztes Mal gesagt, dass wir auch Kinder einer bestimmten Zeit sind und uns daher verstehen können, aber auch Wörter und Sprachen verwenden, die andere nicht verstehen können. Ich vermute, dass Dein Brief an Deinen Arbeitgeber auch das Risiko birgt, dass Deine Nachricht missverstanden wird oder vielleicht gerade nicht, und dass Du eine neue Bewegung ausgelöst hast. In jedem Fall hast Du Deinen Mund zu einem Zeitpunkt aufgetan, an dem Du das Gefühl hattest, sprechen zu müssen. Sag es, auch wenn Du nicht sicher bist, ob es tatsächlich gehört und für seine Verdienste geschätzt wird. Prima, dass es nicht mehr darum geht, was es liefert, sondern um die Absicht und das Wissen, dass die Zeit gekommen ist, dies zu schreiben, zu sagen. Könnte man dies das Werk des Heiligen Geistes nennen?

Ich denke, es gibt Werken aus dem eigenen Geiste, manchmal sogar aus dem eigenen Trieben. Aber auch Werken aus dem Geist mit einem Großbuchstaben „G“ und letztendlich oder am Anfang Werk aus dem Heiligen Geist heraus. Es ist die Absicht, die die Botschaft bestimmt, nicht so sehr die verbale Korrektheit/Formulierung. C’est le ton qui fait la musique. Die Musik kann technisch völlig korrekt und geschickt gespielt werden und doch… Es fehlt die Seele, die in der klingenden Musik benötigt wird, aber auch in der Botschaft von Mensch zu Mensch und von Mensch zu Gott und von Gott zu Mensch.

Soviel für diesem Moment, G. Vielleicht gibt es einen zweiten Teil. Auf jeden Fall durfte ich soeben von der Abtei aus in mir arbeiten, weil in ‘meiner’ Abtei kein Platz war, dank der in dieser Woche geplanten Zen-Woche, die nicht geplant werden konnte. Danke an M., die zu einem Treffen gehen musste, danke an den Gärtner, der im Garten arbeitet und weshalb ich heute nicht alle möglichen Aufgaben erledigen muss, danke an mich selbst, dass ich die Disziplin aufgebracht und die Atmosphäre geschaffen habe, um mit dem Schreiben zu beginnen und Danke an dich, G, an den ich schreiben kann.

Ps: Ich bemerke, dass ich beim Schreiben nach meiner Meinung zunehmend eine schlampige und möglicherweise unleserliche Handschrift bekomme, aber das bedeutet nicht, dass ich mich immer unleserlicher machen möchte. Es geht darum, unseren Weg, unsere Wegen – Bonne Route – zu teilen.

Sei gesegnet, mein Freund. Pax et Bonum.

Brief 3, G - A.

Lieber A,

Wiederum bin ich bewegt von dem, was du schreibst. Deine Worte bilden eine ganz eigene Kombination aus Vertrauen und kritischem Sinn. Ich bemerke diese Kombination oft bei Dir. Ich schätze und bewundere Dich dafür.

“Wie gibt man die Tradition weiter?” – ist die Frage, mit der wir zu diesem dritten und letzten Briefwechsel herausgefordert wurden. Die Frage deutet auf eine Leistung hin: Sag mal, wie du es machst! Das Vertrauen, das ich in Dir finde, ist eine Relativierung dieser Leistungsseite. Die Weitergabe ist in Deinem Ansatz keine Frage des Wissenstransfers. Es geht mehr darum, den anderen (wieder) entdecken zu lassen. Es hängt vom Wirken des Geistes ab. Die eigene Rolle in diesem Prozess ist begrenzt. Das einzige, was man wirklich selbst tun kann, ist authentisch zu sein. In Deinem Brief erfahre ich dieses Authentische vor Allem darin, wie Du am Ende Deine Dankbarkeit ausdrückst – Dankbarkeit für alles, was in diesem Moment in Deinem Leben gegeben ist. Vielleicht ist die Weitergabe einer Haltung der Dankbarkeit noch grundlegender (und einfacher?) als die Weitergabe der religiösen Tradition.

Aber Dein tiefes Vertrauen macht Dich niemals unkritisch. In Gegenteil. Weder Deine geliebte Abtei noch die Kirche werden verschont, wenn sie zu einer gut geölten Maschine oder zu leicht erfolgreich zu werden drohen. Überraschenderweise scheint der Erfolg die Authentizität schnell zu gefährden. Und umgekehrt: Nicht mit Erfolg belastet zu sein, scheint den Raum der Authentizität zu vergrößern. “Erfolg ist kein Name Gottes”, habe ich einmal gelernt. Gott wird der Gerechte, der Barmherzige, der Vergebende, der Liebevolle, der Sanftmütige genannt. Aber niemals der Erfolgreiche.

Ich schreibe Dir wiederum aus einem Zimmer im Gästehaus der Abtei. Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich hierher kam. Das war im Sommer 1973. Ich war ein 19-jähriger Student und hatte kürzlich meine erste sexuelle Erfahrung gemacht. Das hat mich außerordentlich beeindruckt. Gleichzeitig war ich aber auch enttäuscht. Es brachte nicht die vollständige Erfüllung, die ich mir erhofft hatte. Mein damaliger Besuch in der Abtei konfrontierte mich mit einer Lebensweise, die davon ausgeht, dass keine einzige irdische, greifbare Realität Erfüllung geben kann; und mit einen Einsatz, diese Erfüllung auf eine nicht-irdische, spirituelle Weise zu verfolgen. Das hat mich getroffen. Obwohl ich im Nachhinein sehen kann, wie naiv und verträumt ich damals war, hat mich dieses Thema immer beschäftigt. Ich glaube, dass die Erfahrung der Unerfülltheit der Auslöser sein kann, sich einer spirituellen Suche zu öffnen. Und im Zusammenhang mit der Frage bin ich gespannt, ob eine neue Generation diese Erfahrung erkennt. Und wenn ja, wie lautet dann die Antwort? Ist Erfahrung der Anreiz, sofort nach weiteren Erfüllungen zu suchen – mit dem Risiko von Enttäuschung und vielleicht auf lange Sicht Verdruss?

Und andererseits: ist der religiöse Weg zu eng mit dem Verdacht der Illusion verbunden, dass sich die Erfahrung des Unerfüllt-seins nicht mehr für die radikal andere Antwort eines christlichen Ansatzes öffnen kann?

In der gegenwärtigen Phase meines Lebens sehe ich auch eine ganz andere Gelegenheit, die Frage zu beantworten, wie man Religion weitergibt. Eigentlich eine entgegengesetzte Möglichkeit. Ich lebe jetzt viel weniger von einem Bewusstsein des Mangels als von einem Bewusstsein von zu viel. Das Leben scheint jetzt eher ein Gefäß zu sein, das ständig überströmt. Nicht dass so spektakuläre Dinge passieren würden. Überhaupt nicht. Es sind die einfachen Gegebenheiten des Lebens – das Licht und die Luft, Stille, Farbe und Musik, die Zeit, Essen und Trinken, Familie, Freundschaft und Liebe, ja, das Gefühl, am Leben zu sein -, womit ich mich manchmal unglaublich glücklich und reich fühle. Dies ist auch ein Grund, warum ich so gerne hier bin. Mönche tun eigentlich nichts anderes, als ständig für alles zu danken, was gegeben wird. Und erneut ist die Frage, ob diese Erfahrung an eine neue Generation weitergegeben oder von ihnen erkannt werden kann.

Kürzlich hörte ich jemanden bemerken: “Ich bin traurig über das Verschwinden der christlichen Erzählung, weil sie mir von Kindheit an so vertraut ist – aber sollte sie deshalb bleiben?” So kann man es natürlich auch sehen. Ich mag die Entspannung in dieser Ansicht. Ich stimme der Aussage jedoch nicht vollständig zu. Denn ich denke, es geht um mehr als Veränderlichkeit, die unweigerlich mit der Existenz verbunden ist. Es geht auch um einen Zugang zum Glück, der verstopft. Mit dem Verschwinden der christlichen Stimme verschwindet die Herausforderung einer Konsumkultur. Dabei geht es um das Wohlergehen individueller Personen und möglicherweise sogar um die Nachhaltigkeit der Erde, von der wir Menschen abhängen.

Eigentlich sind es nur Fragmente einer Antwort, die wir auf die Frage nach der Glaubensübertragung finden. Es gibt keine vollständige Antwort. Deshalb bin ich so glücklich mit der Form, die wir dank Dir für unseren Beitrag am MPC-Projekt gefunden haben. Ein Briefwechsel ist eine wunderbare Möglichkeit, eigenen Überlegungen auszutauschen und zu erkunden, ohne den Druck einer vollständigen Zusammenhang zu haben. Ein Briefwechsel ist auch eine wunderbare Möglichkeit, einander unser Inneres zu öffnen und unsere Freundschaft zu vertiefen. Ich möchte dies auch außerhalb des Projekts fortsetzen.

In Verbundenheit

G.

Über den Autor

G & A

Im Verlauf des Projekts fanden Gespräche mit zwei Mitgliedern einer Gruppe von Freunden statt, die seit vielen Jahren gemeinsam pilgern. Angesichts der besprochenen Themen beschlossen diese beiden Freunde, sich gegenseitig ein paar Briefe über ihre religiöse Suche zu schreiben. Beide Herren waren überrascht von der Richtung, in der dieser Briefwechsel verlief, und von der Tatsache, dass sich das Schreiben dieser Briefe so stark von ihrer üblichen verbalen Kontaktform unterschied. Die Briefe zeigen die Gedanken und Überlegungen von zwei mehr oder weniger zufälligen Personen, aber ihre Gedanken und Gefühle werden für eine große Gruppe von Menschen erkennbar und möglicherweise auch bei der individuellen Suche anderer hilfreich sein.