Internetpastoral – Arbeit an der digitalen Kirche der Zukunft

Nikolaas Sintobin

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Internetpastoral – Arbeit an der digitalen Kirche der Zukunft

Nikolaas Sintobin

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Erfahrungsbericht eines Internetpastors

Seit 2009 nenne ich mich Internetpastor. Heute arbeite ich mit drei weiteren Fachleuten und Dutzenden von Freiwilligen zusammen. Wir produzieren jeden Tag Podcasts, Videos und Textmaterial. Neben unseren Gebetsangeboten geben wir auch ein Webmagazin zum Thema Glauben und Kultur heraus und entwickeln Schulungsmaterialien zur ignatianischen Spiritualität und zum christlichen Glauben im Allgemeinen. Wir haben unseren Sitz in Amsterdam, sind aber Teil eines weltweiten Netzwerks, mit dem wir sowohl technisch als auch inhaltlich intensiv zusammenarbeiten. Was das Zielpublikum betrifft, so zielen wir nicht auf die lokale, sondern auf die nationale und internationale Ebene ab. Der vorliegende Beitrag ist aus dieser Perspektive geschrieben.

Von allen Initiativen der Jesuiten in den Niederlanden ist unsere Internetseelsorge diejenige, die bei weitem die meisten Menschen erreicht. An keiner unserer anderen Initiativen sind so viele Jesuiten aller Generationen beteiligt. Apropos Übergang. Dies ist nur ein Beispiel für den allgemeinen digitalen Wandel, der unsere Gesellschaft kennzeichnet. Das Phänomen Gemeinschaft spielt auch im digitalen Umfeld eine wichtige Rolle.

Im ersten Teil dieses Beitrags werde ich einige Aspekte des aktuellen Kontextes der christlichen Gemeinschaften beschreiben und dann einige der Dynamiken des Internets erwähnen und veranschaulichen. Im zweiten Teil werde ich zwei vielleicht unerwartete Aspekte des Gemeinschaftsaufbaus im digitalen Umfeld ansprechen: Marketing und Ökumene.

Physische Gemeinschaften verpuffen

Der digitale Wandel vollzieht sich zu einer Zeit, in der viele christliche Gemeinschaften in den Niederlanden eine tiefe Krise durchmachen. Nicht, dass Christen in diesem Land nicht mehr an die Bedeutung von Gemeinschaft und Verbundenheit glauben. Aber die Säkularisierung ist so stark geworden, dass viele physische Gemeinschaften verpuffen oder extrem schwach und verletzlich werden. Für den einzelnen Gläubigen kann dies zu Einsamkeit und Isolation führen. Denken Sie an ältere Gläubige mit eingeschränkter Mobilität oder an junge Menschen, die die einzigen Christen in ihrer Klasse sind und für die es schwierig ist, Anschluss an ihre christlichen Altersgenossen zu finden.

Krise der vertrauten Kommunikationskanäle

Eine weitere Folge der Säkularisierung ist, dass die traditionellen Netzwerke, über die Kommunikation stattfand, kaum noch funktionieren. Bis vor einigen Jahrzehnten konnten die Kirchen ihre Gläubigen problemlos über ihre eigenen Schulen, Kirchengemeinden, Pfarreien und alle möglichen anderen christlichen Organisationen erreichen. Dies gehört weitgehend der Vergangenheit an. Konkret: Wenn heute in einem Dorf oder einer Stadt ein bekennender Christ stirbt, wird der Bestatter oft schneller informiert als der Pfarrer. Und weiter, wo früher christliche Schulen selbstverständlich mit den örtlichen Kirchen zusammenarbeiteten und Namen und Adressen weitergaben, ist dies heute aus Datenschutzgründen oft nicht mehr erlaubt. Mit anderen Worten: Für die Kirchen wird es immer schwieriger, mit ihren Mitgliedern in Kontakt zu kommen und zu bleiben, geschweige denn, neue Menschen zu erreichen.

Das Internet mit seinem enormen Kommunikationspotenzial bietet viele Möglichkeiten, diese Lücke auf neue Art und Weise zu schließen. (Christliche) Gemeinschaftsbildung gibt es auch im digitalen Umfeld, wenn auch anders als in der physischen Umgebung.

Gemeinschaft sui generis

Die digitale Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft sui generis. Es herrscht ein hohes Maß an Unverbindlichkeit und in der Regel wenig zwischenmenschlicher Kontakt. Der durchschnittliche christliche Surfer achtet auf seine digitale Privatsphäre. Gleichzeitig zeigen die zahlreichen Reaktionen, dass unter den 18.000 Menschen, die an unseren digitalen Adventsexerzitien 2020 teilgenommen haben, ein echtes Gemeinschaftsgefühl herrscht. Die Erkenntnis, dass so viele jeden Tag mit denselben Texten beten, wurde als Unterstützung erlebt. Das Gästebuch für den Gedankenaustausch wurde gut besucht. Hunderte von Menschen nahmen am Samstagmorgen an den geführten Zoom-Meditationen mit dem Autor der Exerzitien teil, und Tausende sahen sie später auf YouTube. Diese Verbundenheit scheint mit der letzten Gebets-E-Mail am Weihnachtstag eingeschlafen zu sein, um am Aschermittwoch, zu Beginn der 40-tägigen Exerzitien, wieder aktiviert zu werden.

Von digital zu physisch

Die Erfahrung zeigt, dass es harte Arbeit ist, den Surfer dazu zu bringen, den Schritt von digital zu physisch zu machen. Ein wichtiger Grund dafür ist natürlich, dass die digitale Gemeinschaft diffus ist, da über den gesamten Sprachraum verteilt, während die physische Gemeinschaft per Definition lokal ist. Das hindert uns jedoch nicht daran, dies ständig im Fokus zu behalten. Im Christentum ist die physische Dimension konstitutiv. Christen haben das Recht, dies zu erfahren. Es ist daher eine Pflicht für Pfarrerinnen und Pfarrer im digitalen Umfeld, dies ständig zu beachten.

In unserem Netzwerk sehe ich, dass diese Entwicklung aber tatsächlich stattfindet, wenn auch langsam und im geringer Zahl. In unser Besinnungszentrum in Drongen (Belgien) kommen immer mehr Niederländer und damit auch Protestanten. Es findet eine ständige Verjüngung der Teilnehmer statt. Viele kommen über das Internetpastorat.

Unpersönliche Struktur versus persönliches Gesicht

Die Unverbindlichkeit der digitalen Anonymität ist anziehend. Gleichzeitig besteht ein Bedarf an persönlichen Kontakten. Deshalb ist es wünschenswert, dass in den sozialen Medien nicht nur die relativ unpersönlichen Organisationen präsent sind, sondern auch physische Personen mit einem Namen und einem Gesicht. Als Internetpastor erhalte ich ziemlich viele eindringliche Fragen. Viele Christen haben nur wenige oder gar keine Anlaufstellen und Personen, an die sie sich mit ihren persönlichen (Glaubens-)Fragen wenden können.

Gelegentlich führen diese digitalen Kontakte zu Begegnungen in der physischen Umgebung. Es wäre nicht schwierig, diese Art von Beratungsarbeit stark auszuweiten. Generell stelle ich fest, dass viele Christen im Chaos des Internets verloren sind. Auch im Bereich des Glaubens wird in den sozialen Medien viel Unfug produziert. Es ist eine wichtige Dienstleistung, hochwertiges Material im digitalen Umfeld zu entwickeln und es dann so anzubieten, dass es auch tatsächlich gefunden wird. Dies bringt mich zu anderen Aspekten der Bedeutung der Gemeinschaft im digitalen Umfeld.

Internet: Individuum und Gemeinschaft

Die Eigenlogik des Internets und seine konkrete Funktionsweise sind stark auf den einzelnen Surfer ausgerichtet. … Als Nutzer bestimmt der Surfer selbst, was er wo und wann im Internet tut. Das Subjekt ist der Chef. Gleichzeitig ist auch die Gemeinschaft ein entscheidender Faktor für das Funktionieren des Internets. Es reicht nicht aus, gute Inhalte anzubieten. Das Internet ist ein sehr hartes und wettbewerbsintensives Umfeld, in dem 1,7 Milliarden Websites um die Aufmerksamkeit der Surfer konkurrieren. Die Kunst und Herausforderung besteht darin, eine Gemeinschaft von Menschen aufzubauen, die deine Websites regelmäßig besuchen. Zu viele hervorragende christliche Inhalte im Internet bleiben unbemerkt, weil keine digitale Gemeinschaft aufgebaut wurde, die sie hätte anbieten können.

Marketing

Dies erklärt, warum Marketing zu einem Schlüsselfaktor für die Wirksamkeit der digitalen Seelsorge wird. Die Verwendung des Wortes Marketing in der christlichen Welt klingt wie das Fluchen in der Kirche. Dennoch scheint es mir, dass es sich dabei nur um eine Anwendung des altbewährten Prinzips der Inkulturation handelt: die Nutzung der eigenen Ressourcen der Zielkultur bei der Evangelisierung.

In unserer eigenen Organisation haben wir beschlossen, das Marketing zu unserer Priorität für die nächsten fünf Jahre zu machen. Wir arbeiten jetzt nicht so sehr daran, unsere bestehenden digitalen Angebote zu erweitern. Wir bemühen uns jedoch, die digitalen Gemeinschaften, die rund um unsere Produkte existieren, zu stärken. Auf diese Weise wächst in der Wildnis des Internets die Chance, dass sich eine wachsende Gruppe von Menschen mit uns verbunden weiß. Bei bestehenden Produkten ist damit ein fester Besucherstamm garantiert. Für neue Produkte bedeutet dies, dass wir nicht jedes Mal eine neue digitale Gemeinschaft aufbauen müssen, was äußerst arbeitsintensiv ist.

Ich werde kurz auf drei Formen des Marketings eingehen, die wir nutzen. Alle drei tragen zur Aufrechterhaltung und zum Ausbau der digitalen Gemeinschaft bei.

Newsletters

Die einfachste Form des digitalen Gemeinschaftsaufbaus sind Newsletter. Der digitale Newsletter funktioniert! Für viele ist es eine wiederkehrende Einladung, unsere Websites zu besuchen.

Wir haben unterschiedliche Newsletter für unsere verschiedenen Websites. Zunächst warb jeder Newsletter nur für seine eigenen Produktionen. Jetzt haben wir uns entschieden, auch neue Inhalte der anderen Websites anzukündigen. Das stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Die Besucherzahlen zeigen, dass dies funktioniert.

Soziale Medien

Eine zweite Form des Marketings betrifft die sozialen Medien: Facebook, Twitter und Instagram. Regelmäßige Beiträge locken die Surfer auf unsere Websites oder erinnern sie einfach an unsere Existenz. Eine Einschränkung besteht darin, dass man Gefahr läuft, immer wieder im selben Teich zu fischen.

Aus diesem Grund führen wir manchmal bezahlte Facebook-Kampagnen für bestimmte Initiativen durch. Die Rendite ist nicht sehr hoch. Die Surfer schätzen es zunehmend weniger, wenn ihnen alle möglichen Produkte durch Werbung aufgedrängt werden. Sie wollen selbst entscheiden, wo sie surfen wollen. Ein Vorteil ist jedoch, dass Surfer, die sonst nie mit christlichen Inhalten in Berührung kommen würden, diese nun über Freunde, die christliche Botschaften teilen, in ihrer Timeline sehen können.

Google-Anzeigen

Eine dritte Form des Marketings zielt direkt auf den Wunsch des Surfers, die Kontrolle zu haben: Suchmaschinenoptimierung (SEO) und insbesondere Google adds. Die Effizienz davon ist sehr hoch.

Diese Technik greift die Fragen auf, die der Surfer selbst an Google stellt. Mit anderen Worten: Als Anbieter wirst Du nicht versuchen, den Nutzer zu etwas zu überreden. Vielmehr wirst Du auf das reagieren, was der Suchende selbst als das Objekt seines Verlangens angibt. Konkret sorgt Google adds dafür, dass auf dem Bildschirm eines jeden, der z.B. tägliches Gebet in Google eingibt, unsere Website biddenonderweg.org unter den ersten zehn Suchergebnissen erscheint. Die Chance nimmt so zu, dass ein Surfer, der aktiv nach Gebetsmaterial sucht, auf unserer Website landet.

Spirituelles Wohlbefinden

Für Kirchenverantwortliche ist digitales Marketing kein exotischer Luxus mehr. Zahlreiche, oft sehr teure, kommerzielle Unternehmen bieten inzwischen Produkte der spirituellen Wellness an. Sie sind dabei, den lebensbeschaulichen Markt zu erobern, nicht zuletzt, weil sie Marketingtechniken effizient einsetzen. Mit anderen Worten: Marketing kann einen realen Beitrag zu unserer Sendung leisten, die Frohe Botschaft zu verkünden, und zwar nicht nur unseren vertrauten Schäfchen, sondern auch einer größeren Gruppe von Suchenden.

Das Internet hat keine Mauern

Ein weiteres Merkmal des digitalen Umfelds ist, dass das Internet keine Wände hat. Auch nicht, oder immer weniger, zwischen Christen verschiedener Kirchen. Unsere eigenen Websites werden von Katholiken, aber genauso von Protestanten und Evangelikalen besucht. Die Produkte, die wir anbieten, sind jedoch von einer Spiritualität inspiriert, die eindeutig katholisch ist. Daraus machen wir keinen Hehl. Gleichzeitig wollen wir unser Angebot, in Treue zu unserer eigenen Tradition, so gestalten, dass sich auch andere Christen willkommen fühlen können.

Einige Beispiele zur Veranschaulichung. In unserem Gebets-Podcast ‚biddenonderweg.org‘ haben wir die Bibellesung zunächst nur mit einem Hinweis auf das Buch der Bibel angekündigt, aus dem sie entnommen wurde. Für katholische Christen ist das mehr als ausreichend. Protestantische und evangelikale Nutzer haben uns gebeten, auch das Kapitel und den Anfangsvers zu nennen. Manchmal möchten sie den Text in ihrer eigenen Übersetzung lesen oder finden es nützlich, die Verse davor und danach zu studieren. Das haben wir sofort und gerne übernommen. Auf ‚ignatiaansbidden.org‘ bieten wir jedes Jahr in der Adventszeit und während der Fastenzeit ignatianisch inspirierte Exerzitien an. Die meisten dieser Exerzitien werden von Jesuiten verfasst. Aber die Texte der 40-tägigen Exerzitien 2020 wurden von einer Pfarrerin geschrieben. Einer unserer Mitarbeiter, der Chefredakteur unseres igniswebmagazine.nl, ist bekennender Protestant.

Ökumene an der Basis

Das konkrete Ergebnis ist, dass aus dieser katholischen Initiative de facto eine ökumenische digitale Gemeinschaft erwachsen ist. Diese Ökumene an der Basis wird von der übergroßen Mehrheit der Nutzer positiv bewertet.

Diese Begegnung und dieser Austausch sind nicht auf das digitale Umfeld beschränkt. Wir stellen fest, dass immer mehr protestantische und evangelikale Christen von unserer digitalen Umgebung zu unseren Angeboten in der physischen Umgebung wechseln: Exerzitien vor Ort, persönliche geführte Gebetsprogramme nach den geistlichen Übungen von Ignatius von Loyola, Ausbildung zur geistlichen Begleitung oder zum Gestalten der Exerzitien: gemeinsam beten und feiern, gemeinsam studieren, gemeinsam unterscheiden. Wir leugnen die Unterschiede nicht, und manchmal erfordert die Vielfalt gegenseitig Kreativität, Flexibilität und Geduld. Aber die Freude an der Begegnung und die gegenseitige Bereicherung bestätigen uns in der Echtheit dieser Entwicklung.