Der Zusammenschluss HARZER KLÖSTER im Harzer Tourismusverband e.V. – eine Annäherung an das Spirituelle Reisen

Melanie Krilleke

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Der Zusammenschluss HARZER KLÖSTER im Harzer Tourismusverband e.V. – eine Annäherung an das Spirituelle Reisen

Melanie Krilleke

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2008 Erhielt ich einen Anruf von Prof. Dr. Reinhard Roseneck, dem damaligen Leiter des ZisterzienserMuseums Kloster Walkenried im Südharz. Ob ich  den seit einem Jahr bestehenden kleinen Verein Harzer Klostersommer mitbetreuen möchte. Dessen Gründungsmitglieder, die vier sehr unterschiedlich ausgerichteten ehemaligen Klosteranlagen Wöltingerode, Walkenried, Michaelstein und Drübeck hatten beschlossen, jährlich einen Harzer Klostersommer mit Veranstaltungen von Juni bis September zu begründen. Ich wollte. Mehrere Klostersommer später stand eine Veränderung und Zusammenführung von touristischen Initiativen zum Thema Klöster und Spirituelles Reisen im Harz an, und seit 2020 ist es besiegelte Sache: die mittlerweile sechs Klosteranlagen aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt bilden mit den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Harzer Klosterwanderweg nun zusammen die erweiterte Abteilung HARZER KLÖSTER unter dem Dach des Harzer Tourismusverbandes e.V..  Damit wird die  länderübergreifende Kultur-Kooperation mit der Erweiterung noch gezielter in den harzweiten touristischen Fokus gestellt. Die ca. 20 Kooperationspartner, ehemalige Klosteranlagen, Kirchen und touristische Einrichtungen, stellen gemeinsam ein großes Wissens – und Ideenpool. Ein deutliches Signal als Partner für die Zukunft des Klosterverbundes senden auch die Klosterkammer Hannover und die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz sowie die Stiftung Welterbe im  Harz, ebenso wie die Trägerorganisationen der ehemaligen Klöster wie etwa die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland und die Kulturstiftung Sachsen -Anhalt. Zu Recht: Über Jahrhunderte haben die Harzer Klöster die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung der Kulturlandschaft Harz geprägt.  Ziel ist es, verschiedene Zielgruppen mit vielfältigen Angeboten für das reichhaltige Klostererbe zu begeistern.

„Das Tor steht offen, das Herz noch mehr..“ eine Herausforderung

Dass die Harzklöster nicht nur als touristische Destinationen wahrgenommen werden, sondern der besondere Kern der klösterlichen Einrichtungen in Form von spirituellem Tourismus und spirituellen Angeboten herausgearbeitet und vermittelt wird, ist Auftrag und Anliegen der HARZER KLÖSTER in seinem touristischen Kontext.

Es ist gerade im Harz als zentral gelegenes Mittelgebirge und beliebtes Reise – und Wanderziel  zunehmend spürbar, wie sehr die Menschen unterwegs und auf der Suche sind. Klöster scheinen in diesen Zeiten besondere Sehnsuchtsorte zu sein, die Anfragen vor allem zu Pilger- und spirituellen Angeboten nehmen in diesen Krisenzeiten zu. Nimmt die Zahl der Kirchenmitglieder nach wie vor stetig ab – Klostertourismus und Pilgerwege scheinen davon unberührt, wohl auch, weil kein unmittelbares religiöses Bekenntnis als Bedingung für das Anzapfen dieser Quelle erwartet wird. „Das Tor steht offen, das Herz noch mehr..“ ist eine schöne und zugleich stets aktuell gebliebene Einladung einer Ordensgemeinschaft, die wir oft an den Beginn eines Harzer Klostersommers stellen. Doch was bedeutet die Einladung für uns als Harzer Klöster mit Klosteranlagen aus den in Bezug auf ihr religiöses Erbe höchst unterschiedlich geprägten Ländern Niedersachsen und Sachsen-Anhalt? Das zeigt sich einerseits durch Stiftungen, die einen  betont weltlichen Auftrag in die Vermittlung der Klosterorte einbringen wollen. Andererseits zählen Stiftungen mit ausgewiesenem religiösem Auftrag zu unseren Partnern. Es ist also eine bleibende Herausforderung, Tore und Türen geöffnet zu halten.

Inhalt und Weite des Begriffs Spiritueller Tourismus ist Gegenstand zahlreicher Betrachtungen und führt hier zu weit.  Die oft unübersichtliche Mischung aus qualitativ hochwertigen Angeboten, Folklorismus, Nostalgie, Esoterik und Selbstverwirklichung auf dem allgemeinen spirituellen Reisemarkt stellt unsere Klöster angesichts ebenso vielfältiger Gästemotive stetig vor neue Aufgaben. Was wollen wir unseren Gästen vermitteln? Wo kann der Funke überspringen in einer Welt, wo doch das Feuerwerk der Möglichkeiten alles zu übertreffen scheint? Gibt es eine Richtschnur für Veranstaltungskonzepte im Spirituellen Tourismus?

Angebote sollen aktuell sein aber auch Tradition vermitteln,  spirituell, aber nicht esoterisch sein, modern, aber nicht beliebig sein, zielgruppengerecht sein aber nicht jeden Anspruch bedienen, der Würde des Ortes gerecht werden, aber nicht verstaubt wirken, alte Rituale schätzen und neue zulassen – eine Gratwanderung, die  in jeder neuen Anforderung wieder neu ausgelotet wird.

Workshop zum Spirituellen Reisen

Ein Workshop der Harzer Klöster im Januar 2022 diente unter anderem dem Ziel, sich in der Abteilung über das Phänomen des Spirituellen Reisens zu verständigen. Es war insbesondere interessant, wie die Vertreter/innen der Tourist-Infos teilweise erstmalig sich dem Thema ganz offen widmeten und zu Recht nach Koordinaten zur Orientierung auf diesem Feld fragten. Der Workshop ermöglichte einen fruchtbaren Austausch mit „best practise“ Beispielen aus dem Kloster Chorin in Brandenburg und dem Projekt „Spiritueller Sommer in Südwestfalen“, in dem es unter anderem um Erfahrungen mit Gästen und um Qualitätskriterien als Voraussetzung für gute Angebote ging. „Ich lerne den  Menschen kennen, der zu uns kommt und etwas anbieten will, und lasse meinen inneren Kompass sprechen“, sagt die langjährige Organisatorin des Spirituellen Sommers, Susanne Falk. Es ging auch um die Frage, ob es einen „Kern“ gibt, auf den sich alle Angebote letztlich beziehen können.

Unsere Annäherung an einen spirituellen „Kern“

In Bezug auf die Harzer Klöster lohnt ein Blick auf deren Vielfalt: Bildung, Destillierkunst, Landwirtschaft, Gartenbau, Fischzucht, Gastronomie, Handel, Handwerk, Kunst, Musik und Kultur. All das sind allgemein klösterliche Traditionen in eine moderne Zeit gehoben, sind Zeichen des Ringens um wirtschaftliche wie kulturelle Entwicklung und um den Erhalt der Orte. Einen wirtschaftlich erfolgreichen Zweig hat z.B. das Kloster Wöltingerode entwickelt, das den Ansturm von Romantikkulissen suchenden Hochzeitsgesellschaften kaum noch bewältigen kann. Es sind demnach Orte für das kulturelle „Wohlbefinden“ zum einen, zum anderen sind es Orte, die konfrontieren können-  mit einer Tradition, mit Verordnungen, Maßregelungen, Verzicht. Klosterthemen können die eigenen Verwurzelungen widerspiegeln, sei es Familie, Herkunft, Arbeit, Religion. Klosterorte laden ein,  diese Räume zu nutzen und zu beleben. So sehr die grandiose Architektur der Klosterbauten uns scheinbare Unangreifbarkeit weismachen will – Klöster kennen sich ziemlich gut mit Brüchen und Untergängen aus. Sie können uns von ihrem Weg erzählen, wie Brückenbau zwischen Vergangenheit und Gegenwart gelingen kann, wie pfiffige Strategien für  ganz unterschiedliche Neuanfänge entwickelt werden – im Harz als Brennerei oder Museum, als Tagungsstätte oder Musikakademie, als Hotel und Veranstaltungsort, und das muss nicht zwangsläufig den Ruhe – und Einkehrort ausschließen. Als ein Sinnbild für nicht aufgeben sei die allseits bekannte Postkarte „Hinfallen, aufstehen, Krönchen richten und weitermachen“ erwähnt -ein Gefühl, das wohl jede/r kennt.

Zurück zu den Harzer Touristen und Touristinnen in den Klosteranlagen und ein Blick auf das, was bleiben kann: Der Duft alter Kräuter und die Erzählungen  in den bezaubernden und liebevollst gepflegten Michaelsteiner Klostergärten, die Destillierkunst der Klosterbrennerei Wöltingerode und die Gastfreundschaft des Klosters Drübeck berühren einen Kern. Die spürbare Power des Frauenortes Kloster Brunshausen, die Stille einer Meditation inmitten hunderter von Kerzen und ein gemeinschaftliches einfaches Klostermahl hinterlassen etwas. Der Funke braucht vielleicht nicht immer Großes oder Lautes, aber etwas Echtes. Die wunderbare „Stille Stunde“ im Kloster Chorin in Brandenburg ermöglicht so einen Moment. Nicht zu vergessen das Wandern und Pilgern auf dem Klosterwanderweg, auf dem man in Stille und Schritt für Schritt der Natur und sich selbst begegnen kann.

Was ist ein Kloster ohne seinen spirituellen Kern? Als rieche man an einer schönen Blume, die aber nicht duftet?

Der Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig Dr. Christoph Meyns schloss seinen Vortrag zur Eröffnung des HarzerKlosterSommers 2016 in Kloster Drübeck mit den folgenden Worten:

„Ich werbe sehr dafür, dem geistlichen Kern, für den (die Klöster) stehen, dem inneren geistlichen Kommunikationsprozess, der jahrhundertelang in ihnen lebendig war, Raum zu geben. …in aller Freiheit ohne jede Vermischung mit politischen Ansprüchen oder gesellschaftlichen Erwartungen für das Wohl des einzelnen Menschen fruchtbar zu machen…Zusammenfassend gesagt: Wir haben in unseren Klöstern einen ungeheuren, in vielen Jahrhunderten gewachsenen kulturellen Schatz, den es immer wieder zu entwickeln gilt. Neben allem, was sonst noch dazu gehört, wollte ich an die tiefe spirituelle Dynamik erinnern, die von ihnen ausgegangen ist und von der ich meine, dass es sich lohnt, sie zu entdecken, zu beleben und zu pflegen.“  

Habt ihr eigentlich noch „echte“ Klöster, fragen mich manchmal Menschen, denen ich von unserem Zusammenschluss Harzer Klöster erzähle.  Die Frage lässt zwar ahnen, was gemeint war – nein haben wir nicht, was lebendige Ordensgemeinschaften angeht. Die Vielfalt des Klostererlebens heute lassen hinter der Frage aber weitere Dimensionen vermuten, was „echt“ sein könnte.  Mit dem Erlebbarmachen Spiritueller Räume verwebt sich das Mitgebrachte mit dem Fremden, die Verbindung könnte Sehnsucht sein.  Das Hören von Musik im Kreuzgang von Michaelstein, der Geruch und das Licht hunderter Kerzen im Kreuzgang in der „Osternacht der offenen Pforte“ in Walkenried erzeugen ein Glücksgefühl, man geht „beseelt“ nach Hause. Ist man offen  für die Botschaft durchbeteter Wände und die Resonanz, die sie erzeugen, werden Erfahrungen gemacht, entstehen Fragen, die an jemanden gerichtet werden wollen. Dann ist es gut, wenn der innere Kern zum Tragen kommt. Spiritueller Tourismus ist ein durchaus verantwortungsvolles Unterfangen, wie wir im Workshop anhand der zahlreichen Fragen feststellten. Entscheidend für das, was mitgenommen wird, ist eine gelungene Kommunikation  zwischen denen, die mit den Räumen vertraut sind und denen, die eintreten. Ein gutes spirituelles Angebot wird sich daran messen lassen müssen, ob die Beziehung gelingt, ob sie kreativ, empathisch, auf Augenhöhe und sinnvoll gestaltet wird, und ob es für die gemeinsame Sprache dafür Übersetzer/innen und Brückenbauer/innen in den Klöstern gibt. Wir bleiben darüber einfach mal im Gespräch.

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Melanie Krilleke

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