Sehr verehrte, liebe Anwesende!
Ich war doch sehr erstaunt, als ich die Anfrage von Herrn Paul Wennekes bekam, hierher nach Maastricht zu einer Art Glaubenskongress zu kommen. Wir hatten im September 2018 ein ausführliches Gespräch in meinem Kloster St. Marienstern. Aber ich muss ehrlich sagen: ich bin kein großer Reisefan. Ich liebe mein Kloster sehr, den Ort, wo es steht, die Menschen, die dort leben. Ich verlasse das Kloster nicht sehr oft.
Und doch reizte es mich, über 700 km hierher zu fahren und Ihnen etwas von unserem Leben, Beten und Arbeiten zu erzählen.
Marienstern, in der Nähe von Dresden im Landkreis Bautzen weit im Osten Deutschlands gelegen, ist ein sehr altes Kloster mit einer ununterbrochenen Tradition.
Marienstern liegt mitten in der Lausitz im slawischen Siedlungsgebiet. Die Sorben leben hier seit dem 6. Jahrhundert mit ihrer eigenen Sprache und Kultur.
1248 wurde das Kloster von der Familie von Kamenz, die Reichsministeriale waren, als Zisterzienserinnen-Abtei gestiftet.
Die Geschichte ist wechselvoll und spannend.
Als ich 1981 eintrat, lebten in Marienstern über 30 Schwestern.
Es gab noch Chorfrauen und Laienschwestern.
Und 1981 war tiefste DDR-Zeit. Die Klausur wurde streng gehalten.
Es gab gute Kontakte zu den Menschen, die um das Kloster herum lebten und die mit ihren Sorgen und Nöten direkt zum Kloster kamen.
Zur politischen Gemeinde aber gab es keine Kontakte.
Fast 90 Prozent der Einwohner der kleinen Gemeinde sind katholisch. Das ist für uns ein riesiger Vorteil. Wir sind wie eingebettet in ein Nest. Doch nicht weit vom Kloster entfernt beginnt eine sehr säkulare Welt. Aber auch das ist das Erstaunliche: Viele Menschen kommen zu uns ins Kloster, weil es hier irgendwie anders ist als vor den Klostertoren.
Wenn sie in den Klosterhof hineinkommen, scheint etwas von ihnen abzufallen. Die Atmosphäre ist eine so ganz andere.
Für uns Schwestern ist das wohl eher der Alltag.
Wir empfinden das natürlich völlig anders.
Wir sind eine sehr lebendige Gemeinschaft, die ihre zentrale Aufgabe in der würdigen Feier des gesungenen Chorgebetes sieht.
Dazu scheinen die vielen äußeren Aufgaben gar nicht so zu passen.
In Marienstern wurden Anfang des 19. Jahrhunderts verschiedene Schulen gegründet, u.a. 1826 das St. Josephs-Institut, eine Mädchenschule mit Internat. Die Nazis schlossen alle katholischen Schulen und mitten im Krieg brannte das Gebäude aus. Viele Jahre haben die Schwestern gebetet und überlegt, wie dieses Gebäude wieder genutzt werden könnte. In der DDR gab es 2 Möglichkeiten für die Kirche, caritativ tätig zu werden: Behindertenarbeit oder Altenpflege. So begann 1973 die Betreuung von 80 geistig behinderten Mädchen im Alter zwischen 4 und 18 Jahren. Für DDR-Verhältnisse wurde das Bestmögliche an Lebens- und Arbeitsbedingungen geschaffen.
Nach 1989 haben wir uns als Gemeinschaft ganz neu entschlossen, diese Arbeit fortzuführen. Das bedeutete, das umfangreiche Baumaßnahmen durchgeführt wurden mit Hilfe von Fördergeldern und verschiedenen anderen Zuschüssen.
Inzwischen leben in den Wohnheimen und Wohnungen 112 geistig behinderte Frauen und Männer, wir haben eine Werkstatt mit 126 behinderten Mitarbeitern und eine Schule mit 38 Schülerinnen und Schülern, die alle ambulant zu uns kommen.
Zum Kloster gehört eine Land- und Forstwirtschaft, ein Gästebetrieb, ein Klosterladen und eine Schatzkammer und ein Ernährungs- und Kräuterzentrum.
Jährlich kommen einige Tausend Touristen in unser Kloster.
Insgesamt ist das Kloster Arbeitgeber für ungefähr 190 Menschen.
Für eine Gemeinschaft von 11 Schwestern im Alter von 31 bis 91 Jahren eine große Herausforderung und Aufgabe.
Wie kann das gemeistert werden, wenn die zentrale Aufgabe des Gebetes nicht darunter leiden soll?
Zum einen haben wir fähige, einsatzbereite Mitschwestern und zum anderen gute Mitarbeiter und Angestellte.
Das Chorgebet ist den Schwestern überaus wichtig. Das spüren auch die Menschen, die zu uns kommen und daran teilnehmen.
Mitte der neunziger Jahre traten junge Frauen in unser Kloster ein, die sehr viel Eifer für die Feier der gesungenen Liturgie hatten und begannen, die Chorbücher neu auszuarbeiten und in mühseliger Kleinarbeit, Noten abzuschreiben. Dieses Projekt ist immer noch nicht abgeschlossen.
Inzwischen gibt es im Zisterzienserorden eine Liturgiekommission, die sich dieser Aufgabe angenommen hat und den Druck von neuen Büchern vorbereitet. Wir sind dabei sehr aktiv beteiligt.
Für den Orden selbst ein Zeugnis von Einheit.
Aber all das macht nur Sinn, wenn ich in lebendiger Beziehung zu Christus lebe. Wenn ich Eifer für Gott und den Gottesdienst habe, wie es der hl. Benedikt in seiner Regel fordert.
Mich selbst fasziniert immer wieder der Zisterzienserchoral in seiner Schlichtheit und Eindringlichkeit.
In den Melodien findet das Wort Ausdruck, wird lebendig.
Der Introitus des Ostersonntages ist für mich so ein Beispiel: „Resurrexi, et adhuc tecum sum, alleluia“
„Ich bin erstanden und bin immer bei dir. Halleluja. Du hast deine Hand auf mich gelegt. Halleluja. Wie wunderbar ist für mich dieses Wissen.“ – Es ist der Dialog des auferstandenen Herrn Jesus mit seinem Vater. Die Melodie ist schlicht und eindringlich, ohne jede Schnörkel.
Dort ist Innigkeit und Liebe spürbar.
Dazu fällt mir auch die Aufforderung des hl. Benedikt ein:
„Herz und Stimme sollen im Einklang sein!“
Unser Chorgebet wird von morgens 4.30 Uhr bis abends zur Komplet um 19 Uhr vollständig gesungen, im Wechsel zwischen deutscher und lateinischer Sprache. Ich gestehe: das ist nicht nur Vergnügen, sondern manchmal auch richtig schwere Arbeit. Aber es ist unsere Arbeit, die wir gerne tun und nicht, wenn wir Lust dazu haben. Deshalb versuchen wir für uns als Gemeinschaft auch Ruhezeiten einzuplanen, um unsere Kräfte zu erhalten.
Das Gotteslob zu singen, stellvertretend unser Gebet, den Lobpreis, die Anliegen der Menschen vor Gott zu tragen, ist unschätzbar und einfach nicht auslotbar.
Auch unser klösterliches Gemeinschaftsleben ist intensiv.
Wir beten nicht nur viel miteinander, sondern feiern auch, machen gemeinsame Ausflüge und andere Aktivitäten.
Mehrere Male im Jahr werden bei uns Fastenkurse für Gesunde angeboten. Diese Kurse begleitet jeweils eine Schwester mit geistlichen Impulsen und Gesprächen. Gerade während des Fastens sind die Menschen viel aufnahmebereiter, auch für die geistlichen und
existenziellen Dinge ihres Lebens. Wir wissen nicht, wieviel Segen schon davon ausgegangen ist.
Konnten wir zu DDR-Zeiten nicht mit der politischen Gemeinde zusammenarbeiten, so ist das heute ganz anders.
Viele große Veranstaltungen, wie z. B. das Kloster- und Familienfest des Landkreises Bautzen werden zusammen mit der Gemeinde und anderen Trägern geplant und organisiert.
St. Marienstern hat in der Region und auch im Bistum Dresden-Meißen einen festen Platz.
Ich bin immer wieder erstaunt, was es da für Außenwirkungen gibt. Z. B. wird ein junger Kirchenmusiker durch unser Kloster, seine Architektur, seine Einbettung in die Landschaft, inspiriert, ein Oratorium zu komponieren.
Es ist am 24.11.2019 in Süddeutschland uraufgeführt worden.
Menschen in den unterschiedlichsten Situationen vertrauen sich unserem Gebet an. Und es ist nicht selten, dass sie kommen, um sich zu bedanken – wenn eine Krankheit überstanden oder eine schwierige Situation gemeistert werden konnte.
Viele Menschen sind auf der Suche, aber viele wissen es gar nicht.
Ein Kloster kann ein Richtungs- und Haltepunkt für sie sein.
In diesem Jahr haben wir damit begonnen, an 4 Wochenenden junge Frauen unter dem Motto „Dein Wort gilt dir!“ einzuladen, ihre Berufung und ihren Weg zu suchen. Wir werden nicht gerade überlaufen, aber die Begegnungen und Gespräche sind sehr aufschlussreich.
Wir vertrauen darauf, dass Gott auch in unserer heutigen Zeit Menschen ruft, dass Frauen ins Kloster eintreten, um sich Gott ganz zu weihen.
Ein über 770-jähriges Bestehen ist dafür keine Sicherheit.
Wir aber versuchen so zu leben, dass Menschen sich durch uns von Gott angezogen fühlen, dass Christus durch uns hindurch scheint.
Dann kann auch unser Kloster eine Zukunft haben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!