Ansprache von Yvonne Zonderop Prinsjesdag Frühstück, 2019

Yvonne Zonderop

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Ansprache von Yvonne Zonderop Prinsjesdag Frühstück, 2019

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Yvonne Zonderop sprach am 13. September 2019 am sogenannten Prinsjesdag Frühstück, neben Premierminister Mark Rutte und Ad van Nieuwpoort.

Wenn man wie ich ein Buch über das überraschende Comeback der Religion schreibt, bekommt man viele – und viele unterschiedliche – Reaktionen. Zum Beispiel habe ich kürzlich einen Anruf von einem Journalisten aus Antwerpen erhalten. Lass mich sie Anne nennen. Anne schrieb eine Geschichte über den Rapper Kanye West, der seine eigene Kirche mit einem Gottesdienst für sich selbst gründete – und damit überraschend viel Interesse bei jungen Menschen weckte. Als wir darüber sprachen, was dies über die Rückkehr der Religion aussagen könnte, sagte sie plötzlich: Ich bin 32 Jahre alt und eifersüchtig auf meine muslimischen Freundinnen, die ihren Glauben wie einen Weggenosse mit sich tragen. Denn ich habe nichts.

In all ihrer Ehrlichkeit beschrieb Anne ein Gefühl, das ich schon eine Weile mit mir herumgetragen hatte und das ich für mein Buch recherchierte. Ja, es gibt wieder – mehr – Interesse an und Bedürfnis nach Religion und Spiritualität. Und ja, wir sind uns damit unsicher. Nach der “Versäulung“ und anschließenden „Entsäulung“ ist die Religion in den Niederlanden als öffentliches Phänomen praktisch verschwunden. Es wurde eine Frage von: Wenn man unbedingt glauben will, dann mach, aber störe mich nicht damit. Und ich erwähne nicht einmal die lauten Stimmen, die die Religion als “dumm” oder “rückständig” bezeichneten und die die Menschen, die doch glauben, schüchtern, wenn nicht sogar ängstlich gemacht haben, für ihre Überzeugungen gerade zu stehen. Ich habe im letzten Jahr viel mit solche Menschen gesprochen, weil sie mich massenhaft eingeladen haben. Glücklich wie sie waren mit dem, was sie als Unterstützung aus einer unverdächtigen Ecke betrachteten: einer ungläubigen Journalistin, die sagt, dass Religion auch ihre guten Seiten hat, dass sie unsere ernsthafte Aufmerksamkeit verdient, und dass Glauben doch so merkwürdig nicht ist….

In meinem Buch erwähne ich das „Versäulungs-Trauma“ als wichtige Ursache. Ich beschreibe, wie ich selbst als katholisches Mädchen in einer Säule aufgewachsen bin, die sich wie ein leerer Kokon anfühlte, in der Gebote und Verbote die Inspiration überwogen und in der der Kirchenbesuch eine Frage sozialer Konventionen war: zuerst in die Kirche, dann zu Opa und Oma in meinem ordentlichen Kleid. Das Verlassen dieser katholischen Säule war weniger eine Frage des Widerstands oder des Gewissens, sondern eine Einbahnstraße in Richtung Freiheit und Selbstbestimmung. Wir konnten sehr gut ohne diese Kirche auskommen, nicht wahr? Dieser Abschied und dieses Ideal der Selbstbestimmung gaben dann lange Zeit den Ton an, und wenn man Jeroen Pauw oder Arjan Lubach hört, denkt man manchmal: sie haben es immer noch nicht vollständig verarbeitet …

Wir sind jetzt 40, 50 Jahre weiter und das negative Image, das an der Religion haften blieb, hinterlässt überall Spuren. Es besteht die Gefahr eines „Entsäulungstraumas“. Lassen Sie mich drei Bereiche erwähnen, in denen die Folgen des Missverständnisses, dass Religion nur eine Privatsache ist, sichtbar werden.
Zuerst die Politik. Immerhin sind wir hier beim Prinsjesdag Frühstück. Der Glaube als Inspirationsquelle für politisches Handeln wird, mit Ausnahme des SGP und der Christlichen Union nicht mehr häufig und auf keinen Fall mehr als selbstverständlich angeführt. Beim CDA hat Pieter Heerma vorgeschlagen, die Bedeutung des C von christlich zu konservativ zu ändern. Premierminister Rutte macht kein Geheimnis daraus, dass er niederländisch reformiert ist, aber Sie werden nicht schnell hören, wie er sich im Unterhaus darauf bezieht.
Ist es dann verständlich, dass einige Wähler glauben, unser christliches Erbe sei so gut wie verschwunden? Dass, um Anne zu zitieren, sie nichts haben? Es ist kein Zufall, dass Geert Wilders und Thierry Baudet gerade dieses Erbe ansprechen. Es gibt ein unbestimmtes Gefühl des Mangels. Wenn niemand anderes die Erbschaft beansprucht, können sie die beanspruchen, wenn auch nur für die Form. Dann gibt es Aussagen wie “Gott ist rechts, da bin ich mir sicher”. Oder, dass das christliche Erbe spricht über „eigene Leuten zuerst“. In ganz Europa verlassen sich Populisten auf christliche Symbolik wie Salvini mit seiner Statue der Jungfrau Maria. Sie geben eine Art Nestduft ab und berühren irgendwie.

Religion ist schließlich auch eine Frage der Wurzeln und der Tradition, der gemeinsamen Kultur und Ideen. Es ist wichtig, sich das zu realisieren. Der britische Historiker Tom Holland, berühmt für seine Bücher über die Römerzeit, schrieb kürzlich das Buch ‚Dominion, die Entstehung des westlichen Geistes‘. Es geht um das Christentum als Quelle unseres westlichen Denkens; ich empfehle es Ihnen. Holland beschreibt, wie die Römer arme Sklaven misshandelten und sie tatsächlich nicht als Menschen betrachteten und wie dies ihm zunehmend anekelte. Er beschloss, nach den Wurzeln der Idee zu suchen, dass jeder Mensch von Wert und gleichermaßen wertvoll ist. Er landete bei Jesus. Nicht dass er ein Gläubiger wurde, aber Holland begann zu sehen, wie sehr das Christentum unsere Moral geprägt hat. Es ist kein Zufall, dass alle Länder mit einem demokratischen Verfassungsstaat christliche Wurzeln haben. Wir haben es gerade nur vergessen, oder wir ziehen es vor, es den Denkern der Aufklärung zuzuschreiben, in unserer Empörung über alles, was die Kirche falsch gemacht hat. Das ist ein Verlust. Jetzt, da die Schutzwürdigkeit und Bedeutung unserer liberalen Demokratie weniger selbstverständlich sind, denke ich manchmal: fehlt uns die Inspiration des Christentums, das sie untermauert hat? Das uns lehrte, dass jeder Mensch vor Gott gleich ist und nicht, um nur eines zu erwähnen, Teil einer Kaste ist.
Ich nenne mich einen Kulturchristen. Dann sagen die Leute: aber Thierry Baudet macht das auch, fühlst Du Dich wohl dabei? Worauf ich antworte: Hat er das ausschließliche Recht dazu erhalten? Manchmal würde man fast so denken …

Das „Entsäulungsdrama‘ manifestiert sich auch im sozialen Bereich. Nur wenige fühlen sich  noch berufen, die Religion im Allgemeinen oder das Christentum im Besonderen als solches zu empfehlen, also nicht weil man selbst daran glaubt, sondern weil man es wertvoll findet. Es hat uns unsicher gemacht, als Migranten mit einem anderen, sichtbaren und ernsthaften Glauben in unser Land gekommen sind. Viele von uns meinen und meinten, das sei beängstigend und das ist das gegenseitige Verständnis nicht zu Gute gekommen. Vergleiche  das mit der Haltung der Financial Times, die auf ihren Bücherseiten alle zwei, drei Monate einem Buch über Religion einer ernsthaften Rezensionen widmet. Denn wenn 85 Prozent der Weltbevölkerung religiös ist, wird etwas drin sein, und es ist auf jeden Fall von sozialer Bedeutung. Wir kennen das nicht.
Was weiß der durchschnittliche Niederländer über die soziale Rolle, die Papst Franziskus oder die anglikanische Kirche in der Klimaproblematik beansprüchen? Ist Kirche nicht über Kindesmissbrauch und Homosexualitätsprobleme? Das Außenministerium wird nun einen Religionskurs für junge Beamte einrichten, die ins Ausland gehen und nichts davon wissen oder verstehen. Das Ministerium hat gerade einen religiösen Gesandten ernannt, als Anerkennung, dass Religion im Ausland wirklich wichtig ist. Sie haben mich gebeten, zu erzählen woher unsere Abneigung kommt und dass dies vielleicht wohl eher ein Zeichen provinzialisches Denkens als der intellektuellen Überlegenheit sein könnte.

Neben dem Politischen und dem Sozialen gibt es auch den persönlichen Mangel. Denken Sie an Anne. Wohin soll man gehen, wenn man offen ist für alte Geschichten, für das Höhere, für Rituale, für Inspiration? Aber nicht für die Kirche? Weiß man vielleicht Ad van Nieuwpoort zu finden, den begabten Redner, den wir bald hören werden? Oder gehen Sie, wie diese 40 Millionen anderen, zu Jordan Petersons you tube Kanal, um seinen Bibelvorlesungen zu folgen? In den entsäulten Niederlanden muss man es selbst herausfinden.
Nimm Laura. Sie studierte an der Kunstakademie. Und sie wollte für ihren Abschluss etwas mit Religion machen, so schrieb sie mir. An der Akademie konnte ihr niemand helfen, die Lehrer hielten es für ein beängstigendes Thema. In Armut wandte sie sich an mich. Ich schrieb: Grabe dich ein, dann wird etwas auftauchen. Drei Monate später schickte sie eine E-Mail, dass sie bestanden hatte. Sie hatte einen mobile Beichtbus gemacht. Eine eigene Übersetzung ihres eigenen Bedürfnisses nach etwas greifbar Religiösem, quer gegen ihren Lehrern.

Darf ich es zur Abwechslung in wirtschaftlicher Hinsicht formulieren? Es ist nicht so, dass es keine Nachfrage gibt … aber wo ist das Angebot heute? Wissen Sie es? Viele von Ihnen sind religiös inspiriert. Es gibt einen Bedarf an diese Inspiration. Das Versäulungs-Trauma hat seinen Höhepunkt überschritten. Wir sind in die nächste Phase eingetreten. Fordern Sie dieses Erbe an und übersetzen Sie es ins hier und jetzt. Dann nehmen Sie Teil an dieses überraschenden Comebacks der Religion – das ich in meinem Buch angekündigt habe.

Über den Autor

Yvonne Zonderop

Yvonne arbeitete lange Zeit als (parlamentarische) Journalistin für eine Reihe von Zeitungen und Zeitschriften. Zur Zeit arbeitet sie als unabhängige Autorin und Managerin und konzentriert sich auf soziale Themen. Sie schrieb eine Reihe von Büchern, unter anderem das Buch „Ongelofelijk“ (Unglaublich) über das überraschende Zurückkommen der Religion in den Niederlanden, das sowohl innerhalb als auch (noch mehr) außerhalb der Kirchen viel Aufmerksamkeit erregte.